Die Karriere eines ‚dunklen Ehrenmannes‘ vom späten Mittelalter bis in die Gegenwartsliteratur: ein Überblick von Manuel Bauer zur Genese und zu den Wandlungen des Faust-Mythos

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Doktor Faustus, der berühmte schwarze Magier und Teufelsbündler, zählt zu den großen Figuren der Weltliteratur. Trotz der weit verzweigten, zahlreichen Wandlungen unterworfenen Geschichte des Stoffes wird der Blick meist auf Johann Wolfgang Goethes Faust-Dramen verengt, deren erster Teil schon früh zur ‚deutschen Nationaltragödie‘ avancierte und deren Protagonist zur wichtigsten mythologischen Figur der Deutschen erklärt wurde.

Dass Faust überhaupt zu solchen Ehren kommen konnte, ist erstaunlich. In der frühen Stoffgeschichte ist er ein Negativexempel, sein im Teufelspakt kulminierender Drang nach Wissensmaximierung und Grenzüberschreitung wird im Zeitalter der Reformation als Sünde ausgestellt. Noch im 18. Jahrhundert gilt der Stoff lange Zeit als nicht literaturfähig. Erst mit Gotthold Ephraim Lessing und im Sturm und Drang kommt es zu einer gravierenden Umwertung des Mythos und der Figur. Mit der Rezeption von Goethes Tragödie erreicht die Idealisierung einer vormals verworfenen Figur einen Höhepunkt, dennoch bleiben weitere Adaptionen, Fortschreibungen und konkurrierende Entwürfe nicht aus.

Von der literarischen Karriere kaum zu trennen ist Fausts Aufstieg zum nationalen und politischen Mythos; das ‚Faustische‘ wird nicht nur von Oswald Spengler zur weltanschaulichen Kategorie erhoben.

Manuel Bauer stellt, ausgehend von Teufelsbündlern des Mittelalters und den frühesten Zeugnissen zu einem mutmaßlichen ‚historischen Faustus‘ aus dem 16. Jahrhundert, die Entwicklung des Mythos anhand zahlreicher Bearbeitungen dar, weit über die berühmtesten Adaptionen – die Historia von D. Johann Fausten, Christopher Marlowes Tragödie oder Thomas Manns Doktor Faustus – hinaus. Goethes Faust-Dramen werden nicht als Ziel- oder Endpunkte, sondern als (wenn auch herausragende) Etappen der Stoffgeschichte gesehen. Dieses einführende Grundlagenwerk vollzieht nach, wie Faust geradezu zum deutschen Schicksalsstoff werden konnte und in welcher Weise die Arbeit am Mythos noch in der Gegenwartsliteratur greifbar ist.

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Titelbild

Manuel Bauer: Der literarische Faust-Mythos. Grundlagen – Geschichte – Gegenwart.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2018.
404 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783476025500

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