Des Zirkels Schenkel bei Lichte betrachtet

Dietrich Schwanitz läßt die Lächerlichkeit ihr heilsames Werk tun

Von Sandra TurnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Turner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem Tod zu schlafen ist pervers, höchste Form der Untreue. Daniel Dentzer läßt sich das nicht bieten. Nächtelang sitzt er am Bett von Hannah, seiner Angebeteten im Koma, und flüstert ihr seine Liebe, der schwarzgelockten Jüdin, die der Tod schon umschlingt und deren kanülumschlossene Nasenflügel leise nur noch beben. Zurückholen aus dem Hades will er sie wie Orpheus einst Eurydike - und auch Daniel Dentzer dreht sich um.

Aber nicht nach den schwarzen Locken von Hannah, der AstA-Vorsitzenden, die beim Vortrag des angeblich rechtsradikalen Professors Schneider ein Go-In inszeniert hat und dabei zusammengeschlagen worden ist, nein, es sind die verführerischen Katzenaugen von Vanessa, der Journalistin, in die Danilein zu tief geblickt hat.

Tief blicken läßt Dietrich Schwanitz in seiner komödiantischen Polit-Romanze "Der Zirkel" erneut, und nicht weniger meisterhaft als im "Campus": in das romantisch-parasitäre Liebesleben von Senatorassistent Dentzer, in den Klüngelmorast aus Ressentiment und Konkurrenz an der Hamburger Uni und in die politische Vergangenheit von Ost und West - wo die Stasi auch und gerade im Westen die "Durchdringung des Feindes" praktiziert.

20.000 IMs in Politik und Universität müssen ihre Entlarvung fürchten, denn Dentzer wird in die Spur geschickt, um die Hintergründe für den Anschlag auf Hannah Krakauer zu erkunden und die Finsternis zu lichten, das Dunkel um die Berufung von Professor Schneider, der nach der Wende in Potsdam als Historiker "abgewickelt" worden wäre, wenn ihn nicht mit Hamburgs Uni-Präsident Schacht undurchsichtige Fäden verbänden.

Hannah stirbt, und Daniel erwacht: Irgendwann hört "Daniel der Dentzer" auf - der universitäre Filz von Intrigen, Klüngeln und Seilschaften widert ihn zu sehr an -, den Steigbügelhalter und Fußsohlenkitzler seines Senators Weiss zu spielen: Mit dem sadistischsten Lächeln düpiert er den Uni-Präsident Schacht und macht ihn vor versammelter Mannschaft zur Schnecke. Die Briefe von Weiss' verflossener Jugendliebe "Colombina", die ihn in einer nostalgischen Anwandlung noch einmal sehen möchte, bevor ihre Krankheit sie endgültig dahinrafft, beantwortet Dentzer, der "Blutegel des Gefühls", mit der Sekretärin - selbstredend ohne Wissen des Senators, der sich die lästige Peinlichkeit mit einem gestelzten Formbrief vom Hals zu schaffen gedachte.

Schwanitz weiß, wann er Handlungsstränge abzubrechen hat, um Spannungsbögen zu halten, und er spielt: mit Klischees und Paradoxien - in postmoderner Manier eben -, übersteigert gnadenlos sarkastisch seine Figuren und das Milieu, in dem sie agieren, schildert dabei so unverschämt lebensecht und mit Faible fürs Detail, daß man sein Urteil über Unterhaltungsliteratur revidiert, wenn es denn bislang Niveau ausschloß.

Den Präsidenten Schacht, der am Ende als Kreatur der Stasi sich erweist -, ihn fischt man schließlich vergiftet aus der Badewanne, und eines Titelhändlers Leiche, der zuviel über Schneider und die Stasi wußte, aus dem Hafenbecken. Den Gutachter Pfeiffer, der gegen die Berufung Schneiders interveniert hatte, lockt man unter falschen Versprechungen nach Potsdam, wo das finster liebende Herz der Stasi schlägt, wo es gespenstisch aus dem Hörer flüstert, sobald man ihn von der Gabel hebt - und wo Professor Pfeiffers BMW unter mysteriösen Umständen von der Brücke stürzt, einen Tag, nachdem er Dentzer und Vanessa zuviel erzählt hat.

"Um Paradoxien zu akzeptieren, braucht man Humor", sagt Schwanitz in einem Interview - und den braucht man zuweilen auch als LeserIn, angesichts der Offenbarungen, die Protagonist Dentzer auf der Anglisten-Institutstoilette zuteil werden, oder wenn er von den "mittleren Kadern" der sozialistischen Welt (sprich Potsdamer Professoren) erzählt, die sich vor einer "Riege" Sekretärinnen an der Kaffetafel versammeln, natürlich im mit "volkseigenem Desinfektionsmittel" parfümierten Kasten - dem historischen Seminar.

Zimperlichkeiten gegenüber derart plakativen Anhäufungen sozialistischen und auch feministischen Vokabulars führt Schwanitz genüßlich ad absurdum. Komik ist sein Suchscheinwerfer für Anmaßungen, er entlarvt Pompöses, demaskiert faulen Zauber - und Dietrich Schwanitz tut es mit solch einem Sprachwitz, daß ihm seine Schwarz-Weiß-Malerei verziehen sei.

Titelbild

Dietrich Schwanitz: Der Zirkel. Eine romantische Komödie.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
446 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3821805609

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