Erzähler und Versöhner

Zum Tod des Schriftstellers Ludwig Harig

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

„Kein Zweifel, er ist unter den Lebenden nicht nur der bekannteste, sondern auch der beste saarländische Schriftsteller. Wer dies behauptet, setzt keinen anderen herab“, hatte Harigs saarländischer Landsmann Oskar Lafontaine schon vor 25 Jahren völlig zutreffend in der „Zeit“ geschrieben. In den letzten Jahren war es – dem Alter geschuldet – etwas ruhiger geworden um den literarischen Tausendsassa aus dem Saarland.

„Ludwig Harig ist ein vielseitiger Autor, der seit den sechziger Jahren die deutsche Literaturgeschichte maßgeblich mitbestimmt hat,“ hieß es 1988 in der Laudatio zum Heinrich-Böll-Preis. Tatsächlich bietet Harigs gewaltiges Oeuvre einen Facettenreichtum, der in der zeitgenössischen Literatur seinesgleichen sucht. Wer sein Werk heute auf seine späten halb-dokumentarischen Romane reduziert, wird diesem Autor nur teilweise gerecht.

Ludwig Harig, der am 18. Juli 1927 im saarländischen Sulzbach als Sohn eines Malermeisters geboren wurde, arbeitete nach dem Studium bis 1974 als Lehrer. Noch ehe er selbst zu schreiben begann, hatte er sich in den 50er Jahren intensiv mit der französischen Lyrik und Philosophie auseinandergesetzt. Diese Wurzeln und die frankophile Neigung zogen sich wie ein roter Faden durch Harigs Werk. Der spielerische Umgang mit der Sprache war – unter dem Einfluss von Max Bense – ein bevorzugtes Metier. Übersetzungen von Raymond Queneau, experimentelle Hörspiele (in denen authentisches Tonmaterial eingefügt wurde), philosophiegeschichtliche Essays und zuweilen surrealistische Erzählungen prägen vor allem das Frühwerk.

Allerdings waren surrealistische Elemente auch noch in der 1980 erschienenen meisterlichen Novelle „Der kleine Brixius“ unübersehbar, in der der fünfjährige Protagonist auf geheimnisvolle Weise das Fliegen lernt. Harigs dichterischer Flugversuch ist – zumindest symbolisch – aufs Engste verknüpft mit seiner immensen Reiselust.

Auch für seine Familientrilogie („Ordnung ist das ganze Leben“,1986; „Weh dem, der aus der Reihe tanzt“, 1990; „Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf“; 1996) hatte sich der Autor auf Reisen begeben. Ziel waren die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges, auf denen Harigs Großvater als junger Soldat unvergessliche Grausamkeiten erlebt hat. In diesen Romanen porträtiert der langjährige Volksschullehrer – mittels seiner eigenen Familie – das typisch deutsche Kleinbürgertum. In seinem letzten, bis in die 60er Jahre reichenden Roman „Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf“ (1996) hat es Harig auf vorzügliche Weise verstanden, die muffige Provinzialität des Saarlandes mit hintersinnigem Humor zu karikieren.

In seinem letzten bedeutenden Werk kehrte Harig literarisch wieder stärker zur eigenen Biografie zurück. In seinem 2007 erschienenen Roman „Kalahari“ erzählte er von der lebenslangen Freundschaft eines Franzosen und eines Deutschen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg als junge Studenten in Lyon kennengelernt hatten. Dieser Roman war mehr als nur das authentische Zeugnis einer Freundschaft; er lässt sich auch als Essenz von Harigs Oeuvre lesen, als Liebesbekenntnis zu Frankreich und als großes Versöhnungsbuch.

Ludwig Harig, der 1993 vom saarländischen Ministerium für Kultur und Wissenschaft zum Ehrenprofessor ernannt wurde, gehörte nicht nur zu den versiertesten Erzählern seiner Generation. Er hatte sich überdies große Verdienste um die deutsch-französische Freundschaft erworben. Am 5. Mai ist er im Alter von 90 Jahren in seinem Heimatort Sulzbach gestorben.