Leid-Bilder als Leit-Bilder

Ein Sammelband zeigt uns Film-Bilder über die Passion

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anliegen der „Cultural Studies“ ist es, durch das Aufspüren und Aufdecken von Machtstrukturen in unserer Gesellschaft ein kritischer Stachel im Fleisch zu sein. Diesen Anspruch löst der Sammelband Leid-Bilder. Die Passionsgeschichte in der Kultur auf überzeugende Weise ein. Die Basis hierfür legte eine gleichnamige Ringvorlesung der Universität Zürich zu Verfilmungen der Passion Christi. Dort wurde gezeigt, dass Passionsverfilmungen neben den Evangelientexten auch deren Rezeptionsgeschichte aufgreifen.

Der Spielfilm wurde bekanntlich bereits von dem Kunsthistoriker Erwin Panofsky als kulturelles Leitmedium unserer Zeit bezeichnet. So überrascht es nicht, dass auch die Passionserzählung der vier Evangelien als zentrale kulturelle Erzählung schon früh filmisch umgesetzt wurde: Die Zeitspanne der Passions-Filme reicht demgemäß von den Stummfilmen aus der Frühzeit des Kinos bis zu den zeitgenössischen Arthouse-Produktionen. Da neue Medien sich bekanntermaßen althergebrachter Darstellungsformen als Gefäß für neue Inhalte bedienen, nahmen schon die ersten Verfilmungen tradierte Formen szenischer Tableaus und Passionsspiele mit musikalischer Begleitung und somit Formen der populären Kultur auf. Diese lebten in den Musicalverfilmungen der 1960er Jahre wie Jesus Christ Superstar fort. Später wurden vor allem gezielt Bezüge zur altmeisterlichen Kunst, namentlich der Malerei als hochkulturelle Form, gesucht.

Vorgestellt werden hier die Ergebnisse einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit Schwerpunkt auf den Religionswissenschaften. Hierbei lag der Fokus hauptsächlich auf 15 Filmproduktionen, die seit den 1960er Jahren entstanden sind. Neben arrivierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kommen auch Promovierende zu Wort. Lobenswert ist der durchgehend anschauliche und aufeinander abgestimmte Erzählstil der Essays. Diese werden von ausgewählten prägnanten Filmausschnitten in Schwarz-Weiß und Farbe begleitet.

Der Vielgestaltigkeit der zu diskutierenden inhaltlichen Bezüge entsprechend setzen die Kapitelüberschriften den Schwerpunkt unter anderem auf „Stummes Leiden“, „Revolutionäre Impulse“, „Schwester im Leid – Die Passion als filmische Metapher“ beziehungsweise „Messias durch Zufall – Die Passion als Satire“. Neben unbekannteren Spielfilmen, die auch von außerhalb Europas kommen, werden bekannte Klassiker des europäischen und amerikanischen Kinos, unter anderem Der Weichkäse von Pier Paolo Pasolini (1962), Schreie und Flüstern von Ingmar Bergman (1972), Die letzte Versuchung Jesu Christi von Martin Scorsese (1988), Breaking the Waves von Lars von Trier (1996) und Die Passion Christi“ von Mel Gibson (2004) eingehend thematisiert.

Alle Abhandlungen eröffnen mit einer Filmsynopsis und Analyse der jeweiligen Jesusfigur, an die sich Analysen von Fachwissenschaftlern der religionsbezogenen Fächer anschließen. Diese Überlegungen werden von der Perspektive anderer Fachrichtungen zu einem bestimmten Aspekt des jeweiligen Filmes in fruchtbringender Weise ergänzt und vertieft. Aus ihnen geht die Erkenntnis hervor, dass Filme über das Leiden Christi zugleich die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft in ihren negativen Folgen für das Individuum zur Anschauung bringen. Dies wird besonders deutlich in Filmen zu Themen des zeitgenössischen Lebens. Diese greifen das Passionsthema lediglich als grundlegende Einfärbung ihres filmischen Narrativs auf, um die sozialen Auswirkungen des ungehemmten Kapitalismus ins Blickfeld zu rücken. Erwähnt seien in diesem Zusammenhang unter anderem Das Leben Jesu von Bruno Dumont (1997), Pietà von Kim Ki-duk aus Korea (2012) und Kreuzweg von Dietrich Brüggemann (2014).

Gesondert herausgegriffen seien im Folgenden nur einzelne Kapitel: Pasolinis Film schließt in seiner aufwühlenden sozialen Anklage als Inszenierung eines Films im Film deutlich an tableauartige Inszenierungen an. Diese kennt man aus dem Passionspiel (beispielsweise in Oberammergau), aber auch als permanente Zuschaustellung aus Tonfiguren auf den Heiligen Bergen des Piemont. Der dramatische Konflikt personifiziert sich in der Person eines Laiendarstellers aus dem Subproletariat, der aufgrund seines ausstehenden Lohnes halbverhungert ist und von den Umstehenden jesusgleich verspottet wird. In dem Moment, in dem er seinen Hunger mit Ricottakäse gestillt hat und die Kreuzigungsszene von Orson Welles als Regisseur gedreht wird, verstirbt er: Das ersehnte Lebensmittel brachte ihm den Tod, der  mit dem von Jesu in eins fällt.

Bergmans Film verarbeitet wie viele andere Werke des Regisseurs dessen strenge lutherische Erziehung als Pfarrersohn in einer möglicherweise etwas plakativ symbolisch konnotierten Farbregie und kreist um die urchristliche Aufforderung zur Compassio, zur Anteilnahme am Leiden Christi, hier am Sterbeprozess einer von drei Schwestern. Während diese sich als gefühlskalt und unfähig herausstellen, erweist das Dienstmädchen Anna der Sterbenden den letzten Liebesdienst: Sie bettet sie an ihre Brust und nimmt das Motiv der Pietà, der leidenden Liebe der Mutter Gottes, auf.

Der Monty-Python-Film Das Leben des Brian (Terry Jones, 1979) behandelt den Tod Christi  auf satirische Weise und stellt hierdurch auf den ersten Blick eine ungeheure Blasphemie dar. Tatsächlich behandelt der Film die Geschichte einer Verwechslung des echten Jesus mit dem im benachbarten Stall geborenen Brian und übt hierdurch Kritik an einer engstirnigen und bornierten Auslegung der Religion durch die offizielle kirchliche Lehrmeinung.

Auch Sorseses Film nach einer Romanvorlage, der heute vielleicht am besten durch die von Peter Gabriel mithilfe zahlreicher außereuropäischer Musiker umgesetzten Kompositionen bekannt ist, ereilte 1988 die Verurteilung als Blasphemie, da er eine erträumte Liebessszene von Jesus, der hierfür vom Kreuz herabsteigt, mit Maria Magdalena zeigt. Dieser entscheidet sich also gegen seine göttliche Bestimmung ganz für seine menschliche Natur, was nach theologischer Sicht einer der zwei Aspekte seiner Zwiefaltigkeit ist.

Der begleitende Essay hierzu beschäftigt sich mit dem Problem der Blasphemie aus juristischer Sicht und kommt zu dem Schluss, dass der oft artikulierte Wunsch nach Strafbewehrung bei Zuwiderhandlung dem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf künstlerische Meinungsfreiheit widerspricht. Pointiert bringt der Autor Andreas Thier dies mit den Worten zum Ausdruck, dass man auch schlechte Kunst nicht einfach verbieten kann.

Lars von Triers Film legt ebenso wie wie die Werke Bergmans und Scorseses sein Hauptaugenmerk auf die Bedeutung der traditionell als passiv beschriebenen Frau im Passionsgeschehen, namentlich der Sünderin Maria Magdalena. Die an diesen biblischen Prototyp angelehnte Geschichte einer weiblichen Selbstopferung durch die Zwänge einer rigiden religiösen Umwelt nimmt mit der finalen Erlösung im Tode das zentrale Motiv der Passion Christi auf.

Das Kapitel zum Leben Jesu von Dumont bildet eine Brücke zu den nachfolgenden zeitgenössischen Produktionen, indem er sich von der filmischen Nacherzählung der Passionsgeschichte löst und den Blick auf den alltäglichen Lebens- und Überlebenskampf prekarisierter Jugendlicher in Flandern richtet. Er schildert am Beispiel von Freddy die Ambivalenz eines sozial vernachlässigten Opfers, das zum Täter, das heißt zum Mörder an einem arabischen Jungen wird. Ein eindeutiger Bezug auf die Passion Christi wird lediglich im Titel des Filmes eingeräumt.

Gibsons blutrünstige Verfilmung der Passionsgeschichte bietet einen Anknüpfungspunkt für Überlegungen zur physischen Schmerzregulierung im menschlichen Organismus mittels des heute so genannten Biofeedback. Dies leitet hin zu einem der stärksten Abschnitte des Buches, einem Exkurs über den berühmten Isenheimer Altar des Malers Mathis Grünewald: Die Versuchung des Hl. Antonius wird ikonografisch überzeugend als Versuch gedeutet, dem Krankheitsgeschehen, das heißt dem durch eine Vergiftung mit Mutterkorn erzeugten sogenannten Antoniusfeuer, durch seine Darstellung seinen Schrecken zu nehmen. Abschließend stellt er jedoch zu Recht die Frage nach der Sinnhaftigkeit des dargestellten filmischen Geschehens, da die Zurschaustellung der Schmerzen Christi ohne die in Aussicht gestellte göttliche Erlösung  offensichtlich sinnlos ist. Auch wird die Ökonomie des Leidens in den Blick genommen, denn die Gottesmutter bleibt in ihrem Schmerz letztlich unerlöst.

Hier hätte sich auch ein Seitenblick auf die Rolle der Maria Magdalena angeboten, die als die „große Sünderin“ die sündige Menschheit verkörpert und demgemäß namentlich auch in der zentralen Kreuzigungsdarstellung des Isenheimer Altares mit größtem Affektausdruck am Kreuzesstamm auf die Knie gesunken ist. Auch ein Bezug auf die expressiv gemalte, gemarterte Körperlichkeit des Gekreuzigten, insbesondere die verrenkten, gelängten Arme mit den verkrampften Händen hätte die vorgetragene These untermauert.

Enge Bezugnahmen auf kanonisierte Werke der Kunstgeschichte prägen auch die weiteren Beiträge, namentlich den Essay zu Die Mühle und das Kreuz von Lech Majewski (2011). Dieser Film führt uns mittels des ins Szene gesetzten Gemäldes in das Leben Pieter Breughels, krankt jedoch an dessen Inanspruchnahme als Alter Ego des Regisseurs. Kim Ki-duks Film rückt die Passion einer Mutter in den Mittelpunkt, deren Liebesangebot an den Mörder ihres Sohnes zugleich ein Vehikel ihrer Rache an diesem ist. Hiermit schlägt er zugleich den Bogen vom mittelalterlichen Andachtsbild zur Kritik am Raubtierkapitalismus, was anhand eines eindrucksvollen kunsthistorischen Exkurses zu diesem deutlich wird.

Die Idee des weiblichen Kreuzweges kulminiert schließlich in Dietrich Brüggemanns Film Kreuzweg von 2014, dessen Hauptthema das Nicht-Vorhandensein und Verweigern von Empathie für eine an Magersucht Sterbende an Bergmans Werk erinnert. Motivation für diese Geschichte einer Selbstopferung ist die religiös eingeengte Weltsicht des nahen Umfeldes der Protagonistin, was an die ähnlich gelagerte Thematik des Films Requiem von Hans-Christian Schmid von 2006 erinnert.

Die Bezugnahme dieser umfassenden filmwissenschaftlichen Studie auf Methoden und Erkenntnisse der Nachbarfächer Theologie und Religionswissenschaften sowie Kunstgeschichte aber auch die Naturwissenschaften hat eine Fülle von Einsichten und Querverweisen von beträchtlichem Mehrwert für das hier zu diskutierende Thema zutage gefördert. Wie viel reicher noch wäre umgekehrt die Kunstgeschichte, wenn sie sich in ähnlicher Weise noch vorbehaltloser als bisher ihren Nachbarfächern öffnen würde.

Titelbild

Daria Pezzoli-Olgiati / Marie-Therese Mäder / Natalie Fritz / Baldassare Scolari (Hg.): Leid-Bilder. Die Passionsgeschichte in der Kultur.
Schüren Verlag, Marburg 2018.
597 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-13: 9783894727154

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