Unerlöste Geschichten

In seinen frühen Erzählungen „Wo die Schakale heulen“ erzählt Amos Oz von einem „Land der Alpträume“

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der israelische Kibbuz der Gründerzeit bezeichnet einen Ort, der bis heute symbolisch für Pioniergeist und Gemeinschaftssinn steht. Hier haben zupackende Arbeiter, idealistische Intellektuelle, Überlebende der Shoa und Außenseiterfiguren zu einer Gemeinschaft zusammengefunden. Auch der junge Amos Oz verließ 1954 im Alter von 15 sein Elternhaus, um sich einem Kibbuz anzuschließen und hier seinen Familiennamen Klausner gegen Oz einzutauschen, was so viel wie „Kraft, Stärke“ bedeutet.

Dieser Ort zwischen Ideal und Realität steht im Zentrum seiner frühen Erzählungen, die Amos Oz anfangs der 1960er Jahre verfasste und die 1965 im Original veröffentlicht wurden. Sie sind nun endlich auch auf Deutsch erschienen. Von Mirjam Pressler wurden sie in eine Sprache übersetzt, die subtil und eindrücklich die ganze Palette zwischen illusionsloser Präzision und fiebriger Hitze abdeckt. Der junge Amos Oz tastet sich in dieser Prosa wie ein literarischer Pionier an seinen Stoff heran: dem Leben in einem Kibbuz am Rande der Wüste. Das Ich hält sich meist hinter einem kollektiv beobachtenden Wir verborgen, um in der Erzählung All die Flüsse doch als Ich-Erzähler namens Elieser Dror hervorzutreten. Er schildert darin die Begegnung mit der rätselhaften Tova, die mit einem nur schwer greifbaren Gefühl des Verrats und der Traurigkeit endet. Dieses Gefühl könnte von der Stadt Tel Aviv herrühren, deren Treiben Elieser zutiefst verabscheut: „Vielleicht ist es nicht Hass, aber ich ertrage die Stadt nicht.“

Hass und Gefühle der Verlorenheit gibt es freilich auch zu Hause im Kibbuz. Der alternde Junggeselle Elchanan Kleinberger in Fremdes Feuer spürt, „dass es für ihn keine Hoffnung gab“. Vor allem nachts, wenn die Schakale im Dunkeln heulten, überfiel auch ihn die Unruhe. „Das ist ein Land der Alpträume, und dahinter erstrecken sich vielleicht die Gärten, die noch kein Mensch gesehen hat, nach denen nur das Herz verlangt: Zuhause.“

Der Kibbuz ist ein gut eingespielter Organismus, der alle Mitglieder in die gemeinschaftliche Verantwortung einbindet. Amos Oz lässt dieses Ideal immer wieder durchscheinen, beispielsweise wenn einer wie Felix in Ein ausgehöhlter Stein mit Umsicht die Beseitigung der Schäden nach einem gewaltigen Sturm organisiert. Doch handkehrum zeigt die perfekte Organisation eine Kehrseite, wenn es darum geht, für Diebstähle und Übergriffe Vergeltung an den Beduinen zu üben. Dann setzt ein nächtliches Hauen und Stechen ein, das erst zu Ende kommt, wenn der Feind ausgeräuchert ist (Die Trappistenabtei).

Die Kibbuzim stehen auf einem Territorium, das früher schon bewohnt war, von Beduinen etwa, die ihre Herden über dieses Land trieben. Der bis in die biblischen Zeiten von Kain und Abel zurückreichende Konflikt zwischen arabischen Nomaden und jüdischen Bauern wird zusätzlich durch politische Feindschaften befeuert. Nachts kann alles passieren. Die Schakale kreisen hungrig um die Siedlungen und verbreiten ihr ebenso klägliches wie erschreckendes Geheul – bis sich allmorgendlich früh im Osten die Sonne mit einem feinen Lichtstreifen ankündigt und die labile Ordnung des Tages wiederherstellt. Das ist das tägliche Einerlei, von dem Amos Oz kraftvoll und beherrscht erzählt. Ein Kibbuz ist auch ein einsamer Vorposten am Rand der Wüste, umgeben von einer widrigen Natur und von arabischen Feinden.

Der Gemeinsinn bringt die Menschen zusammen, zugleich rühren die Umstände männliche Prahlerei und Hass auf, die sich gegen die eigene Gemeinschaft wenden können. Amos Oz beschönigt nichts. Wie angespannt und voll Ingrimm zuweilen die Stimmung ist, illustriert eine beiläufige Szene in Fremdes Feuer. Eine „schöne, seltsame Frau“, Lilli Dannenberg, streichelt geduldig einen zerzausten Straßenkater, der ihr über den Weg gelaufen ist und sich ihr schnurrend hingibt. Auf einmal wird er unruhig. „Die gelben Augen blinzelten, das Funkeln erlosch. Sie vollführte mit der Faust einen Bogen durch die Luft und schlug heftig mit ihr in den Bauch des Katers.“ Abrupt, gewaltsam nimmt die idyllische Szene ein Ende. Während sich der Kater in die Dunkelheit rettet, macht sich Lilli Dannenberg zu ihrem künftigen Schwiegersohn auf, zu einem Gespräch, das wie die Begegnung mit dem Kater etwas verstörend Zweideutiges behält.

Amos Oz gibt keine Geheimnisse preis, er lässt das Rätsel unangetastet. Er erlöst weder seine Geschichten noch seine Figuren. Ob es so herauskommt oder anders, gut oder böse, scheint nicht in der Gewalt seines Erzählers zu liegen.

Was von seinen Geschichten in der Erinnerung zurückbleibt, sind schräge Begebenheiten wie die von Lilli, oder großartige landschaftliche Stimmungsbilder, und vor allem diese seltsamen Charaktere, die sich mal melancholisch verzehren, mal von Hass und Ressentiments aufgefressen werden. Der Wüstenwind, der Chamsin, verwirrt die Sinne, die Hitze trocknet das Hirn aus, die Finsternis der Nacht erschreckt die Seele. Der Grat zwischen Jubel und Angst ist schmal und schwankend.

So begeistert Amos Oz einst in seinen Kibbuz eingetreten war, wie zumindest vermutet werden kann, so illusionslos und genau beschreibt er in diesen Erzählungen dessen Alltag. Die Skepsis schützt ihn vor falscher Euphorie. Genau das zeichnet auch seine politischen Plädoyers aus, die zeitgleich unter dem Titel Liebe Fanatiker erschienen sind.

Eine der frühen Erzählungen beginnt mit dem Satz: „Sein Leben lang lebte er vom Hass.“ Amos Oz zeichnet darin das Bild eines Rechthabers, der tagsüber vorzüglich seine Arbeit verrichtet, nachts aber nicht weiß, wohin mit seiner Mission, „ihnen die Augen zu öffnen“. Diesem Pharisäertum, dem ein nationalistischer Überschwang sekundiert, sind die drei Plädoyers gewidmet. Amos Oz ist kein Pazifist, wie er selbst sagt, und er war, wie er einräumt, als Jerusalemer Kind „ebenfalls ein fanatischer, nationalistischer, selbstgerechter, begeisterter Zionist … blind hinsichtlich jeden Arguments“. Doch diese Haltung ist längst einem Misstrauen gegen jeden Fanatismus gewichen, der nur weiß und nichts erfahren will, der das wahre Eigene verräterisch klar vom falschen Anderen unterscheiden kann. Im Vertrauen auf seine Skepsis, seine Neugierde, seine Phantasie und seinen Humor setzt sich Amos Oz auch schon mal zwischen alle Fronten, denn die vermeintliche „Wahrheit“ gibt es hüben wie drüben. Seine drei Plädoyers sind wohltuend kluge, abwägende Stellungnahmen für einen langwierigen Ausweg aus dem nahöstlichen Konflikt, der nur im Gespräch der Kontrahenten gefunden werden kann. Es geht dabei auch, daran lässt er keinen Zweifel, um die Zukunft Israels, dem Land, dem er sich tief verbunden fühlt.

„Ich habe Angst vor der Politik der Regierung (Netanyahus) und ich schäme mich für sie“, ist in einem der Plädoyers zu lesen. Und in der Erzählung Fremdes Feuer heißt es: „Kopfloses Handeln reißt das ganze Land in eine Orgie selbstgefälliger Arroganz“. Zwischen den beiden Zitaten liegen 50 Jahre – dennoch hat Amos Oz nicht aufgegeben. Es bleibt noch ein Funken Hoffnung, dass der gängige Fanatismus reversibel ist. Amos Oz kämpft darum mit klugem Nachdenken und mit Geschichten, in denen Zeitgeschichte durch beeindruckende Sprachkraft und ein feines Gespür fürs Menschliche aufgehoben ist.

Titelbild

Amos Oz: Wo die Schakale heulen. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.
317 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783518425947

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Titelbild

Amos Oz: Liebe Fanatiker. Drei Plädoyers.
Übersetzt aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.
142 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783518428023

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