Bitterer Nachruf auf einen patriotischen Vater

Carmen Francesca Banciu kleidet den letzten Teil ihrer Trilogie der Abrechnung in ein umfangreiches Poem

Von Anke PfeiferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Pfeifer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Für Vater waren drei Dinge wichtig / In der festgefügten Reihenfolge / Das Vaterland / Die Partei / Die Ehre der Familie“, so leitet die Tochter ihren Abschiedsmonolog vom ihm ein. Es ist die letzte Etappe dieser Tochter-Vater-Geschichte mit folgendem Plot: Der betagte Witwer erleidet einen Verkehrsunfall und kommt ins Krankenhaus. Die in der Ferne – in Berlin – wohnende Tochter reist, sobald es ihr möglich ist, heim nach Rumänien und trifft am Krankenbett auf die beiden Geliebten des Vaters, mit denen sie sich Sorge und Pflege um den dominanten Mann, der ihnen nun ausgeliefert ist, bis zu dessen Lebensende zu teilen hat. Konflikte zwischen allen Beteiligten sind vorprogrammiert. Zu gern würde die Tochter ein letztes klärend-erklärendes Gespräch mit ihrem Vater führen, um sich ihm in ihrer aufgestauten Wut und Verletztheit zu offenbaren. Sie möchte ihn aber auch verstehen und vielleicht doch noch Frieden mit ihm schließen, er aber verweigert sich diesem Wunsch bis zuletzt.

Die Handlung in Carmen Francesca Bancius Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten! Tod eines Patrioten ist daher verquickt mit der kritischen-richtenden Rückschau der Tochter auf den Lebensweg des tyrannischen Vaters, auf seine Wertvorstellungen, sein Verhalten und vor allem auf ihr überaus problematisches und schmerzhaftes Verhältnis zueinander, das bis zuletzt von gegenseitigen Erwartungen, Enttäuschungen und Vorwürfen gekennzeichnet war. Es geht um Pflicht und Verpflichtung, Aufopferung und Verweigerung, fehlendes Verständnis, mangelnde Anerkennung und viel zu wenig Liebe.

Der Kommunist, ein Träumer und Macher, hatte seine ganzes Denken und Handeln dem Aufbau einer neuen, besseren Gesellschaft gewidmet und diesem Ziel sein persönliches Leben untergeordnet, dabei aber traditionell-patriarchalische Werte gelebt. Er als Mann nahm sich stets und selbstverständlich das Recht, Liebesbeziehungen zu anderen Frauen zu pflegen – auf Kosten seiner Ehe und Familie.

Mit der Erziehung zum „Neuen Menschen“ war der Vater, der sich lieber einen Sohn gewünscht hatte, bei seiner Tochter gescheitert, hatte sie, die schließlich gegen Eltern und Gesellschaftssystem aufbegehrte, seiner Ansicht nach mit ihrer Generation und Gleichgesinnten durch die Revolution von 1989 das Land und dessen Zukunft verraten.

Diese Auseinandersetzung ist in ein Langgedicht reimloser Verszeilen von mehr als 350 Seiten gekleidet, das den Leser trotz der für solch ein Sujet und in diesem Umfang unerwarteten Form jedoch sofort in seinen Bann zieht. Durch Rhythmus, Wiederholungen und Variationen erhält der Text eine ganz besondere Eindringlichkeit und Überzeugungskraft. Immer wieder beginnen Zeilen beispielsweise mit „Vater“, „er“ oder „ich“ und verweisen so auf die obsessive Art und Weise, in der die Gedanken der Erzählerin um den Vater kreisen. Immer wieder müht sie sich und sucht nach einem neuen Ansatz, um sich in ihn einzufühlen, die Tragik seines Lebens, seiner gescheiterten Ideale und seinen Selbstbetrug zu ermessen. Auf der Suche nach Klarheit befragt sie sich nach ihren Gefühlen zu ihm: Ist es Liebe oder Pflichtgefühl? Auf diese Weise erkundet sie sich auch selbst.

Auffällig ist – bis auf gelegentliche Kommata – das Fehlen von Satzzeichen. Fragen ergeben sich allein durch die Wortstellung. Die kurzen Sätze sind sehr ausdrucksvoll, sie vermitteln Intensität und Emotionalität. Häufige Steigerungen setzen dramatische Akzente. Sprachspiele und Wortschöpfungen wie „tothungrig“ oder „Untergesetzte“ zeugen vom sensiblen und kreativen Umgang mit der Sprache, die die Autorin, obwohl es nicht ihre Muttersprache ist, so perfekt beherrscht.

Die episch breite Beziehungsgeschichte erhält damit eine überaus poetische Dimension. Was zunächst ungewöhnlich erscheint, ist für das Schaffen von Carmen-Francesca Banciu stilistisch aber geradezu folgerichtig. Konsequent erfolgt in dieser mit Elternhaus und kommunistischem Ethos abrechnenden Trilogie die zunehmende sprachliche Verdichtung der literarischen Polemik. Schon im ersten Band Vaterflucht ließen die kurzen Sätze aufmerken, dirigierten in Das Lied der traurigen Mutter dann zusätzlich gedichtartige Abschnitte den Lesefluss. Den formalen Schlusspunkt setzt nun dieses Anti-Klagelied des lyrischen Ichs. Der Tote wird hier aber eben nicht erhöht, sondern seine Person vielmehr kritisch seziert. Schmerz und Trauer betreffen weniger den Verlust des Vaters, als vielmehr die misslungene Beziehung, die das gesamte Leben der Tochter prägte. Sie schmerzt das Scheitern ihrer Annäherungsversuche und seine Verweigerung ihr gegenüber, hat er sich doch sein Leben lang ihr gegenüber als liebender Vater verweigert.

Erfolgte die Beschäftigung mit den Eltern in den ersten beiden Bänden aus zeitlicher und räumlicher Distanz, so veranlasst die erneute Begegnung mit dem Vater – zunächst bei seinem Besuch in Berlin, an den sie rückblickend erinnert, und schließlich die Begegnung am Kranken- beziehungsweise Sterbebett – eine letztendlich durch dessen Tod abschließende Auseinandersetzung. Als neuer und wichtiger Aspekt kommen im dritten Teil die stets neben der Ehe und nach dem Tod der Mutter gepflegten Liebschaften des Vaters ins Spiel. Die Begegnung mit der langjährigen Geliebten Rebeca und der jüngeren Krankenschwester Darie, der neueren Liebe, bieten Anlass, diese beiden so unterschiedlichen Frauen, ihr Verhältnis zueinander und zum Vater intensiv zu beleuchten, woraus sich Einsichten in die individuellen Denk- und Verhaltensweisen der drei Protagonisten sowie in die gesellschaftlichen Verhältnisse Rumäniens ergeben. Die Auseinandersetzung mit der Person des Vaters erhält mit der Demontage der von ihm vertretenen hehren Moralvorstellung der Familienehre eine weitere Facette.

Carmen Francesca Banciu hat wiederum ein sehr bewegendes Buch vorgelegt, das zu fesseln vermag und gerade auch wegen der hohen Suggestivkraft ihrer lyrischen Sprache nur zu empfehlen ist.

Titelbild

Carmen-Francesca Banciu: Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten! Tod eines Patrioten.
PalmArtPress, Berlin 2018.
373 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783962580032

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