Herz bedeutet Drama

Mit diesen Worten ist Louise de Vilmorins Roman „Der Brief im Taxi“ überschrieben, weil – nun ja, Herz eben Drama bedeutet. Auf unterschiedlichste Weise

Von Ann-Kathrin ZettlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ann-Kathrin Zettl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Herzensangelegenheiten dürfte die Schriftstellerin und Journalistin Louise de Vilmorin bestens vertraut sein. 1902 in eine französische Adelsfamilie geboren, wuchs sie mit fünf Geschwistern auf, von denen ihr jüngerer Bruder Roger der Liaison ihrer Mutter mit dem spanischen König Alfons XIII. entstammte.

Sie selbst verlobte sich früh mit Antoine de Saint-Exupéry, den sie während ihres Literaturstudiums in Paris kennengelernt hatte, doch länger oder fest binden konnte sie sich zeit ihres Lebens nicht. Nachdem sie die Verlobung gelöst hatte, heiratete sie erst einen US-amerikanischen Millionär, später einen ungarischen Aristokraten. Sie unterhielt mehrere Liebesbeziehungen, unter anderem zu namhaften französischen Künstlern, die sie auf ihrem Familiensitz mit anderen Freunden wie Coco Chanel zu illustren Gesellschaften versammelte. Ihr Lebensgefährte André Malraux, Literat und späterer Kulturminister Charles de Gaulles, brachte sie schließlich zum Schreiben.

Louise de Vilmorin schrieb mit Scharfsinn und Witz über die bourgeoise Gesellschaft und von beidem ist auch Der Brief im Taxi geprägt. Als lebhaft, träumerisch-unkonventionell und künstlerisch, beschreibt sie die Protagonistin Madame Cecilie Dalfort, Schwester eines in Theaterkreisen bekannten Bruders (und Lebemanns) und selbst stadtbekannte Künstlerin. Mit der Karriereorientierung ihres Bankier-Ehemanns kann Cecilie wenig anfangen, daher schreibt sie ein ironisches Theaterstück darüber, das auf dem Weg zu ihrem Bruder jedoch verloren geht. Cecilie gerät in Panik, denn sie möchte ihren Mann mit dem Inhalt nicht verletzten.

Der verlorene Brief gerät in die Hände ihres heimlichen Verehrers, der ihn nur unter der Bedingung eines gemeinsamen Abendessens wieder herausgeben möchte. Aus einem Treffen werden einige und so findet sich Cecilie, verstrickt in ein phantasievolles, wenn auch instabiles Lügengerüst, unverhofft an einem Abendessenstisch wieder, der in seiner Personenkonstellation lange nicht nur einen einzigen Krisenherd beinhaltet. An dieser Stelle stoppt der Roman, der kapitellos und kurzweilig eher wie eine Erzählung daherkommt und anstelle einer näheren Beschreibung dieses Dinners einfach eine Skizze der Sitzordnung wiedergibt. Diese ist vollkommen ausreichend:

Herz bedeutet Drama, auch ohne Worte.

Oder besser, mit wenigen Worten. Denn Louise de Vilmorin fasst sich kurz. Hat man keine dringenden Verpflichtungen, liest sich ihr Roman an einem Stück. Als Kennerin ihrer Kreise schreibt sie prägnant und pointiert über die Figuren darin, eigentlich ganz ohne Drama, aber nicht ohne Ernst.

Der Dörlemann-Verlag verlegt seit 2010 Neuübersetzungen von Louise de Vilmorins Romanen in großzügig gesetzten und aufwendig in Leinen gebundenen Exemplaren. Der Brief im Taxi (1958, erste deutsche Übersetzung 1962) ist bereits das vierte Werk der Übersetzerin Patricia Klobusiczky in dieser Reihe. Es scheint ein durchaus angemessenes Projekt für die unterhaltsamen Romane einer illustren und interessanten Gesellschaftsdame, deren Charme und die Faszination ihrer Persönlichkeit auf ihre Werke abfärben.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2018 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2018 erscheinen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Louise de Vilmorin: Der Brief im Taxi. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Patricia Kkobusiczky.
Dörlemann Verlag, Zürich 2016.
208 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783038200338

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