Bruchstücke eines Lebens

Katharina Adlers Debütroman „Ida“

Von Katharina WagnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Wagner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ida“ – so lautet nicht nur der Titel des Debütromans von Katharina Adler, sondern auch der Name der vielleicht bekanntesten Patientin in der Geschichte der Psychoanalyse. In Bruchstück einer Hysterie-Analyse benennt Sigmund Freud „Ida“ in „Dora“ um. Unter diesem Namen wird sie zu dem Fall, an dem Freud seine späteren Behandlungsmethoden entwirft.

Dass sich hinter dem ‚Fall Dora‘ Ida Bauer verbirgt, die nach ihrer Hochzeit Ida Adler heißen sollte, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. So scheint es auch nicht zu den Anliegen von Katharina Adler zu gehören, die ‚wahre‘ Identität ihrer Urgroßmutter bekannt zu machen. Die Urenkelin scheint das Leben von Ida gerade deshalb literarisch in Szene zu setzen, weil deren Krankengeschichte bereits für alle gut zugänglich dokumentiert ist.

Den Vornamen ‚Bauer-Adlers‘ als Romantitel explizit ins Zentrum zu rücken, wirkt auf den ersten Blick als starke Geste: Hier wird einer Frau der Name zurückgegeben, der ihr von ihrem berühmten Arzt genommen wurde. Generationenbedingt ist die Autorin mit dem Anliegen, der Hysterie-Patientin Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, jedoch verspätet. In der Zweiten Welle des Feminismus wird der Fall Dora zu einem Angelpunkt der (psychoanalytischen) Kritik am (einstigen) Übervater und Traditionsbegründer Freud. Auch eine literarische Auseinandersetzung mit der Patientin hat bereits stattgefunden, Hélène Cixous widmet ihr 1975 ein Theaterstück. Da Adlers Roman der Zeit seiner Handlung verpflichtet bleibt – die sich vom späten 19. Jahrhundert bis 1945, dem Todesjahr der Protagonistin erstreckt – spart er die folgende Auseinandersetzung des Feminismus und der literarischen Rezeption mit dem Fall Dora aus. Adler ist in ihrem Roman merklich darauf bedacht, in der Wortwahl und Gedankenwelt dem historischen Kontext ihrer Figur treu zu bleiben. Doch gerade an den stärksten Stellen des Romans wird deutlich, dass dieses Anliegen kaum konsequent umzusetzen ist. Wenn Ida beispielsweise beginnt, den Analysten zu analysieren, kommt hier ein Gestus zum Ausdruck, der sich dem Phallozentrismus Freuds, der ihm erst viel später attestiert werden sollte, allzu bewusst ist.

Adler hat mit Ida einen Roman und nicht etwa eine Historiographie vorgelegt und so kann die Frage, ob Ida Bauer-Adler etwas ‚tatsächlich‘ so gesagt oder gedacht hat bzw. haben könnte, nicht der Maßstab der Bewertung sein. Wenn es Adler jedoch weder darum geht, die Lebensgeschichte ihrer Urgroßmutter möglichst authentisch zu erzählen noch darum, die psychoanalytische Debatte um den Fall Dora erneut zu befeuern, stellt sich – etwas salopp und frei nach Freud – die Frage: Was will das Weib?

Das Leben ihrer Urgroßmutter gibt zweifelsfrei eine großartige Vorlage für eine Romanfigur ab. Schon allein die Tatsache, dass sie Patientin bei Freud war, hätte als Schreibanlass vollauf genügt. Um ein Vielfaches interessanter wird die Geschichte noch dadurch, dass die junge Ida es wagt, die Behandlung nach kurzer Zeit eigenmächtig abzubrechen. Hierin erkennt nicht nur die Autorin einen Akt der Selbstermächtigung. Erzählstoff bietet auch das bürgerliche Wiener Milieu der Jahrhundertwende, in das Ida hineingeboren wird, sowie die Tatsache, dass sie aus diesem als österreichische Jüdin nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten vertrieben wird. Bevor sie in die USA emigrieren muss, richtet Ida gemeinsam mit ihrem Ehemann Ernst Adler mondäne Empfänge aus und betreibt ihren eigenen Bridge-Club.

Mit einer anderen Welt steht Ida außerdem durch ihren Bruder in Kontakt. Otto Bauer ist nicht nur als führendes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, sondern zudem als Gründer des Austromarxismus in die Geschichtsbücher eingegangen. Auch Ida gibt sich im Roman immer wieder als Anhängerin der Sozialdemokratie zu erkennen. Dass dabei unklar bleibt, ob diese Anhängerschaft mehr einer politischen Überzeugung oder doch eher einer tiefen Verbundenheit mit dem Bruder entspringt, ist keinesfalls eine Schwäche von Ida. In dieser Offenheit liegt gerade das erzählerische Können von Adler. Die Autorin entwirft Ida als intelligente Figur, die beharrlich um ihre Selbstständigkeit kämpft. Dabei wird sie jedoch keinesfalls zur Heldin stilisiert. Über weite Strecken wirkt die Protagonistin beinahe unsympathisch. Vor allem aber bleibt sie über die gesamten 500 Romanseiten hinweg schwer zu greifen. Adler bildet Ida nicht zu einer in sich geschlossenen Figur aus, wodurch ihre Widerständigkeit auch erzählerisch gewahrt wird und sich abschließenden Deutungen entzieht.

Geschickt montiert die Autorin Reflexionen ihrer Protagonistin über die Deutungshoheit Freuds in einen metaliterarischen Diskurs über das eigene Erzählprojekt. Wenn Ida kritisch fragt, ob „es nicht seltsam [war], zu behaupten, etwas habe seine Richtigkeit, weil man es selbst so aufgeschrieben hatte“, wird hiermit auch die Autorität des Romans in Zweifel gezogen, die Geschichte Idas richtig zu erzählen.

Deutlich wird ausgestellt, dass mit Ida nur Bruchstücke eines ereignisreichen Lebens erzählt werden. Der Roman beginnt mit der Ankunft Bauer-Adlers in New York und endet in derselben Stadt mit der Andeutung ihres Todes. Der Großteil der Handlung spielt lange vor der Emigration. Dass sich Beginn und Ende von Ida nicht zu einem Zirkel schließen lassen, sondern sich zeitlich um vier Jahre verfehlen, scheint noch einmal die Unabgeschlossenheit des Erzählens und des Erzählten vorzuführen.

Freud beklagt sich in seinem Bruchstück darüber, dass ihn ‚Dora‘ um die „Befriedigung gebracht“ habe, „sie weit gründlicher von ihrem Leiden zu befreien.“ So ist es vielleicht nur konsequent, dass man nach der Lektüre eines Romans, der eben diese Figur ins Zentrum rückt, selbst ein wenig unbefriedigt zurückbleibt. Ida beklagt sich immer wieder, dass Freud jede ihrer Aussagen in die gewünschte Richtung deutet. Dem Zuviel-Deuten des Arztes setzt der Roman ein Programm des Möglichst-Wenig-Deutens entgegen. Darin ist seine große Kunstfertigkeit zu finden, die einen jedoch im gleichen Moment etwas ratlos zurücklässt. Wir erfahren, dass die Ida des Romans weder ‚Dora‘ ist noch sein will. Der Roman stellt gleichermaßen die Diskrepanz zwischen Freuds ‚Dora‘ und der ‚realen Ida‘ aus, wie er immer wieder auf die Fraglichkeit der Gemeinsamkeiten zwischen der realen und der fiktionalen Figur verweist. Dies wirkt theoretisch und literarisch durchaus versiert. Offensichtlich vermeidet die Autorin es, mit Ida sowohl ein Leben nachzuerzählen als auch es – in einem Freud’schen Gestus – zu analysieren. Kontroverser und spannender wäre der Roman wohl geworden, wenn Adler nicht dabei stehen geblieben wäre, die Diskrepanz zwischen Literatur und Realität zu betonen, sondern stärker eine ganz eigene und neue Ida in der Literatur zum Leben erweckt hätte.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Katharina Adler: Ida. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018.
508 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783498000936

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