Morgenlandfahrt

Martin Mosebach beschreibt die Heimat des Lichts

Von Eva LeipprandRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Leipprand

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Mein neuer Zustand hatte das Unfrohe und Sorgenvolle meines Lebens überwunden. Eine gnadenhafte Erleuchtung eröffnete mir die Fähigkeit, das Nächstliegende, für mich Bestimmte und in nächster Nähe auf mich Wartende wahrzunehmen. Und ich hatte es wahrgenommen und flog und glitt nun unablässig auf dies Ziel zu... Es war weiter als geahnt, aber der Flug dorthin war schön, fast war es schon unvorstellbar anzukommen, so lustvoll und friedvoll war diese große Bewegung."

In seinem neuen (dritten) Roman hat Martin Mosebach die alte Tradition der Morgenlandfahrt wieder aufgenommen - ein interessanter Beitrag zum clash of cultures in einer Zeit, da man der Angst vor dem Fremden mit Unterschriftenaktionen begegnet. Mosebachs Ich-Erzähler zieht wie viele vor ihm aus den kalten Städten des Westens nach Osten, in den Orient, ins "Morgen-Land, die Heimat des Lichts" (Hermann Hesse). Zuvor hat sich dieser Erzähler noch in großer Offenheit als einen Zwangsneurotiker beschrieben, als einen wenig sympathischen Intellektuellen, der sich auf steiler Karriereleiter und damit auf "dem langen Weg bis zur völligen Austrocknung" befindet. Um seinem neuen Chef, einem Edel-Antiquar mit einem "Körper wie aus hartem Sahnebaiser", nach Amerika zu folgen, löst der Erzähler seinen Haushalt auf. In diesem besonderen Lebensaugenblick begegnet ihm Pupuseh, die schöne Türkin in der Wäscherei, und bewirkt eine grundlegende Verschiebung der Gewichte auf seiner Lebenswaage. Er fliegt nicht nach Amerika, sondern der vom strengen Onkel heimbeorderten Türkin hinterher, wie ein Kreuzritter auf der Spur seiner Schönen.

In den Bergen Lykiens, "am Abhang der Welt", verfällt er der Landschaft, den fremden Bräuchen, dem Zauber aus 1001 Nacht. Er läßt sich die Augen öffnen für eine neue Sicht der Welt, er lernt, sich vom Schicksal führen zu lassen. Er erlebt das Glück. Dabei kommt er Pupuseh nicht wirklich nahe. Sie ist zunächst ein abstraktes Ideal, in seiner Phantasie "das Herausrinnen und Quellen der Granatapfelkerne aus einer geplatzten Granatapfelschale". Nun erlebt er sie im Einklang mit ihrer Heimat, der Familie, der Kultur. Sie braucht ihn nicht, sie wird ihm fern. Er nimmt es hin, daß sie am Ende den kühngelockten Ünal heiratet.

Die Liebesgeschichte ist ein Rahmen für die glänzend ausgeführten ländlichen Szenen - die Tomatenverarbeitung auf dem Dorfplatz, die Opferung eines Ziegenbocks - , lustvolle Genregemälde, die bisweilen, bei entsprechender Beleuchtung, ins Surreale changieren, so wie auch die Handlung ganz selbstverständlich in Magische vorstößt, wie bei Hesse, in eine "höhere Wirklichkeit", worin Innen- und Außenwelt in reizvoller Weise verschwimmen.

Von seinen ersten vielhundertseitigen Epen hat Martin Mosebach über die Erzählungen und "Pasticci" der letzten Jahre zu einer kompakten Romanform gefunden. (Der einzige Makel ist die Unstimmigkeit in der Erzählsituation zu Beginn. Da berichtet der Erzähler im Rückblick, nach der erleuchtenden Reise, aber im mürrischen Ton des noch Unerleuchteten.) In einer Sprache von origineller Exaktheit, mit leichter (Selbst)Ironie durchsetzt, führt er seinen frühvergreisenden Helden in die Verunsicherung. Reichlich eingestreut sind "Spolien" europäischen Kulturguts, Bildungssplitter in neuen Kontext eingesetzt, ein Verfahren, das im Roman, als "Halbbildung" denunziert, auf ironische Distanz zu sich selber geht. Dem desorientierten Erzähler aber gibt der antike Hintergrund Kleinasiens wenigstens ein bißchen Halt. Pupusehs Dorf war einmal die Griechenstadt Sidyma und Ort eines Konzils. Die gemeinsamen abendländischen Wurzeln könnten eine Brücke zwischen den Kulturen sein.

Den Türken aber sind die Zeugnisse der Antike herzlich gleichgültig, sie haben überhaupt ein anderes Verhältnis zur Tradition. In Deutschland, in der Wäscherei trägt Pupuseh ein enges Trikot aus Kunststoff-Goldspitze, "modesoziologischer Zitatenschrott" für den Erzähler, für die Türkin aber ein echter Wert. "Sie trug Gold, weil Gold das schönste, das herrlichste, das strahlendste Metall war, die Sonne unter den Metallen." Der deutsche Blick versucht die türkische Seele zu ergründen und erkennt seine Grenzen. Der Erzähler weiß, daß er von dem, was er sieht und beschreibt, nicht mehr als die Oberfläche begreift. Bei aller Erleuchtung, das Fremde bleibt fremd.

Titelbild

Martin Mosebach: Die Türkin.
Aufbau Verlag, Berlin 1999.
240 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3351028628

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