Transformation ist ein schönes Wort

Iris Därmanns und Stephan Zandts Sammelband „Andere Ökologien“ ist enttäuschend

Von Dafni TokasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dafni Tokas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der von Iris Därmann und Stephan Zandt herausgegebene Sammelband Andere Ökologien versammelt ein Kabinett von Autor*innen, die aus einer ganz kruden Ecke der Animal Studies kommen müssen. Wenn überhaupt. Ganz auf der Höhe der Zeit sind die Artikel jedenfalls nicht. Obwohl Derrida mehrfach in den Fußnoten auftaucht, tauchen Tiere als ernstzunehmende Individuen praktisch nicht auf, theoretisch sowieso nicht. Sie sind schlichtweg Spielfiguren kulturwissenschaftlichen Eifers und werden höchstens in einem ökologistischen Sinne als Masse erwähnt, wenn es – wie so oft – um Artenschutz geht. Ansonsten geht es vor allem aus historischer Perspektive um „das Tier“ in totemistischen, symbolischen und metaphorischen Zusammenhängen. Und das nach einem einigermaßen vielversprechenden Vorwort, in dem sich die Herausgeber*innen, wie es der gute Ton mittlerweile verlangt, gegen eine starre Natur-Kultur-Grenze und für eine Ausdifferenzierung bisheriger mensch-tierlicher Demarkationslinien aussprechen. Dieser Ansatz wird allerdings überhaupt nicht verfolgt, sofern die Autor*innen ganz offensichtlich keine Schlüsse aus diesen Vorsätzen ziehen. Tierliche „Agency“ wird ab und an in einer Fußnote abgekanzelt – wenn man mehr darüber wissen wolle, solle man eben hier und da nachschlagen. Dass der Sammelband keine nennenswerten Überlegungen zu den „Transformationen von Mensch und Tier“, wie es im Untertitel versprochen wird, liefern kann, ist da keine Überraschung.

Robert Kindler beispielsweise beschreibt in seinem Aufsatz Robben töten, mit welchen kolonialen, mithin rassistischen Konflikten die Robbenjagd im 19. Jahrhundert verbunden war. So weit, so gut. Unter Rückbezug auf zeitgenössische Berichte und andere literarische Quellen kommt er zu dem Schluss, dass Robbenjagd offenbar ein hartes Unterfangen war – für die Jäger! Die seien nämlich, stellt Kindler fest, je nach ihrer Herkunft, ihren Arbeitsbedingungen und ihren Jagdpraktiken ethisch sehr unterschiedlich beurteilt und diskriminiert worden. Die armen Männer! Kindler scheint außerdem nicht auf dem aktuellen Stand der Tierphilosophie zu sein, denn er bezeichnet die Zuschreibung von Schmerz an Robben im gleichen Atemzug als einen Anthropomorphismus. Er kommt sogar zu dem wenig überzeugenden Schluss, diese angebliche Vermenschlichung sei letztlich einer der Gründe für die Diskriminierung bestimmter Menschengruppen, die wiederum den Robben nachstellten. Und das alles sei – zu lesen im Fazit – insgesamt so problematisch, weil damit am Ende Robben wichtiger seien als Menschen. Alles klar. Tierrechtsbewegungen und die Überwachung der Vorgänge dienten in diesem Zuge außerdem, meint Kindler, der Zementierung bestehender kolonialer Machtverhältnisse. „Grausamkeit“ gegen die Tiere steht in Anführungszeichen. Dass es sich bei Robbenschlachtungen um eine „sportliche“ Aktivität handelt, diskutiert der Autor hingegen nicht – hier wiederum fehlen, wie an vielen fragwürdigen Stellen, die Anführungszeichen. Dass rassistische und speziesistische Diskriminierungsmechanismen historisch immer intersektionell verwoben waren und einander bedingten, fällt Kindler bis zuletzt nicht ein. Das macht seine Ausführungen nicht falsch, defizitär oder fragwürdig. Sie sind sogar historisch sehr präzise und ethnologisch tatsächlich interessant. Dennoch hätte die Information, dass Robben über Nozizeptoren verfügen, nicht geschadet. Dass der Autor alle möglichen Zuschreibungen an Tiere als pathetisch von sich weist, zeugt also zumindest davon, dass er Derrida nie gelesen hat.

Erhard Schüttpelz übernimmt indes von irgendwoher unhinterfragt die Definition, Domestizierung bedeute unter anderem die „Bewahrung“ der je domestizierten Tiere „vor Gewalt“. Der Autor war offensichtlich noch nie in einem Schlachthaus. Zwar liebäugelt er hier und da noch ein wenig mit Kritik und Umwendung dieser Definition, aber zu einem gesellschaftlich relevanten und wenigstens überraschenden Fazit seiner eigentlich sehr komplexen Abwägungen kommt er nicht.

Nicht alle Aufsätze des Sammelbandes sind so enttäuschend. Aus ethnologischer Perspektive hochinteressant ist Ernst Halbmayers Aufschlüsselung des Jahreszyklus der Yupka, einer indigenen Gruppe, die zwischen Venezuela und Kolumbien angesiedelt ist. Anhand zweier mit den Jahreszeiten und Sternbildern verbundenen Mythen zeigt der Autor auf, dass der alte Natur-Kultur-Unterschied im Falle der Yupka überhaupt nicht zur Debatte steht. In Anlehnung an Claude Lévi-Strauss’ Wissenschaft vom Konkreten wird deutlich, dass soziokosmologische Betrachtungen und natürliche Phänomene für die Yupka ursächlich ineinanderfallen. Der Aufsatz ist der mit Abstand spannendste, auch wenn einem Außenstehenden jedes Detail dieser Mythen leicht wahnsinnig vorkommen muss.

Auch Stephanie Zehnles historische Auseinandersetzung mit Philippe Descola ist lesenswert, sofern in ihrem Aufsatz Wenn Tiere morden die kolonialhistorischen Differenzen zu einer typisch westlichen Definition des Mensch-Tier-Verhältnisses relevant werden. Im kolonialen Westafrika sei, so erläutert die Autorin, die Zurechenbarkeit der tierlichen „Täter“, wenn diese „gemordet“ hatten, anders eingeschätzt worden, was wiederum zu gewissen Verschiebungen der mensch-tierlichen Beziehung wie auch der Natur-Kultur-Grenze geführt habe. Auffällig ist jedoch, dass die Autor*innen niemals konsequente Schlüsse aus diesen Beschreibungen ziehen und ihnen ein sozialpolitischer Impetus vollkommen abhandengekommen zu sein scheint. Alles verharrt auf einer stark deskriptiven Ebene. Das mag aus wissenschaftlicher Perspektive sympathisch sein, führt allerdings dazu, dass man sich fragen muss, wofür wir diesen Sammelband brauchen. Müssen wir Tiere jetzt wieder vors Gericht führen, um die Natur-Kultur-Grenze aufzuheben? Das kann nicht die Lösung sein.

Viele der Aufsätze beschreiben aus dem erwähnten historischen wie ethnologischen Blick bestimmte, extrem kleinteilige Aspekte der Mensch-Tier-Beziehung. Trotz des ambitionierten Vorworts hat man bis zuletzt den Eindruck, dass die Autor*innen Natur und Tier in einen Topf werfen und sich nicht dazu durchringen können, auch den Menschen als ein Tier unter vielen zu begreifen. Ein anderes Erscheinungsdatum – vielleicht 20 Jahre vorher – hätte dem Band gutgetan. Dann vielleicht hätte man auf transformative Wirkungen von Mensch und Tier auch im echten Leben, und nicht nur im kulturwissenschaftlichen Elfenbeinturm, hoffen können.

Titelbild

Iris Därmann / Stephan Zandt (Hg.): Andere Ökologien. Transformationen von Mensch und Tier.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2017.
225 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783770560783

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