Die Welt ist entschwunden und hat nichts als Leere zurückgelassen

Der Maler Mark Rothko und die Suche nach einer neuen Bildwelt

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich sieht er wie ein Gelehrter aus, und philosophische Arbeiten hat er auch verfasst, Mark Rothko, der eigentlich Marcus Rotkowich hieß und 1903 im russischen Dwinsk, dem heutigen Daugavpils in Lettland, in einer jüdischen Familie geboren wurde. Im frühen Kindesalter war er mit den Eltern in die USA ausgewandert. Relativ spät kam er zur Malerei und begann schon bald Kunstunterricht an einem jüdischen Bildungs- und Kulturzentrum zu geben. 1933 hatte er seine erste Einzelausstellung in New York und zwei Jahre später wurde die Gruppe „The Ten“ in Opposition zum Konservatismus gegründet. Rothko war der wichtigste Maler der „theologischen“ Richtung der New Yorker Schule. Wie bei Robert Motherwell, Adolph Gottlieb und Franz Kline vereinen sich bei ihm westliche Expression mit östlicher Meditation. Manche der spontan anmutenden Zeichen ihrer Gemälde sind ins Riesenhafte projizierte fernöstliche Schriftbilder. Auch Rothko malte in amerikanischen riesigen Formaten, aber aus anderen Gründen als Barnett Newman oder Clyfford Still, denn: „Ich möchte ganz intim und menschlich sein. Ein kleines Bild zu malen heißt außerhalb der Erfahrung zu stehen, als ob man durch ein Stereoskop oder ein Verkleinerungsglas schaut…Wenn man aber ein größeres Bild malt, ist man einbezogen. Solch ein Bild kann man nicht beherrschen“.

In Rothkos Arbeit vereint sich die Suche nach einer archetypischen Bildwelt mit einem starken Gefühl für bühnenhafte Wirkungen. In den späten Vierzigern sind die Flächen von Strand und Himmel als Hintergrund seiner Gestalten fast zur konventionellen Bühne geworden. Dieser rituelle theatralische „Nimbus“ trug mit dazu bei, Rothkos abstrakte Sprache zu formen. In seinen ganz abstrakten Bildern übertrug er diesen „Nimbus“ von Gestalt auf die Landschaft. 1949 hatte er dafür eine Formel gefunden, die er mit kleinen Abweichungen bis zu seinem Selbstmord 1970 wiederholte. Er schichtete eine Anzahl farbiger Rechtecke mit unscharfen Kanten und pulsierender Oberfläche auf der Leinwand vertikal übereinander. Oft lassen die Teilungen und Intervalle zwischen den Farbflächen an einen Horizont oder eine Wolkenbank denken und ordnen so das Bild indirekt der Landschaftsmalerei zu. Diese Bildkomposition ermöglichte es ihm, bis auf die räumlichen Andeutungen und emotionalen Kräfte der Farben, sowie die lebendige Intensität der Oberflächen, fast alles aus seinen Bildern zu eliminieren. Er färbte die Leinwand ein wie Aquarellpapier und lasierte dann in mehreren Farbschichten übereinander, so dass der Betrachter, etwa bei Ocker und Rot auf Rot(1954), in tiefes Wasser oder in Nebel hineinzuschauen meint, der von innen her erleuchtet ist. Rothko war vom Licht besessen: Licht, das von unbeweglichen Symbolen ausgestrahlt wird, die wiederum auf einer vollkommen frontalen Bildfläche angeordnet sind. Er folgte damit genau den Techniken der amerikanischen Luminaristen mit ihren „leisen, stillen, kontemplativen“ Aussagen; es fehlt nur die Landschaft selbst.

Während die erste deutsche Retrospektive schon 1988 in Köln stattfand, wird jetzt, bis zum 30. Juni 2019, erstmals in Österreich eine bedeutende Rothko-Retrospektive im Kunsthistorischen Museum Wien gezeigt. Hauptleihgeber sind die Kinder des Künstlers, Kate Rothko Prizel und Christopher Rothko, aber auch die National Gallery Washington, D. C. Weitere Meisterwerke kommen aus der Schweiz, dem Jüdischen Museum in New York und aus Privatsammlungen. Ein halbes hundert Werke sind zusammengekommen. Einer gegenständlich-figuralen Phase in den 1930er Jahren folgt in den 1940ern eine surreale mit grotesken Gesichtern, unförmigen Körperteilen und Körperfragmenten. Dann geht seine Kunst über in schwebende Farbfelder und Lichterscheinungen mit menschlichen Schatten im Hintergrund. Rothko wendet sich der Farbfeldmalerei zu, einer anderen Technik, die auf der Klarheit der Kontur und intransparenten Fläche basiert und die das Umgebungslicht eher absorbiert als reflektiert. Im Zentrum der Ausstellung steht ein ganzer Saal großformatiger, 1958/59 entstandener Wandbilder, die ursprünglich für das Seagram Building in New York in Auftrag gegeben wurden. Rothko wollte die Komposition verabschieden, Bildhierarchien zerstören und in den Raum hineinwirken.

Der Maler löste sich von den Sicherungen der Konvention und der Logik, um mit leidenschaftlicher Direktheit das Bild als Ausdruck seelischer Zustände zu fassen. Das dynamische Stakkato heftig-dunkler Rhythmen und die leuchtend-hellen Töne, die dahinter schimmern, weisen auf die Gegensätzlichkeiten der Triebkräfte im Unterbewusstsein. Das vorherrschende Dunkel, dieses Gewebe von Gefährdung und Bedrohtheit, wird von schüchtern ahnenden Lichtern der Hoffnung, von Zwischentönen sensitiver Lebensbejahung durchstrahlt.

Der die Ausstellung begleitende Katalog umfasst drei Essays (Christopher Rothko: Rothko und das Echo der Geschichte; Jasper Sharp:Auf der Suche nach dem Fabelhaften. Die Spuren von Rothkos Europareisen; Thomas Crow: Illuminationen der Vergangenheit und Gegenwart in Mark Rothkos Werk), ein Abbildungsverzeichnis der ausgestellten Werke, Auszüge aus ausgewählten Schriften Rothkos, eine Rothko-Chronologie (Anja Heitzer) sowie einen Anhang mit bibliografischen Hinweisen und Abbildungs- und Textnachweisen. Christopher Rothko verweist auf die Rolle der klassischen und frühromantischen Musik Wiens (Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn, Franz Schubert) für seinen Vater. Dessen Bindung an seine Zeit ist die vielleicht wichtigste Korrektur unseres Rothko-Bildes. Später habe er sich selbst gelehrt, nur zeitlose und zentrale Wahrheiten auszudrücken.

Dass Rothko auch von der Kunst der Vergangenheit inspiriert war, die er im New Yorker Metropolitan Museum während seiner Studienzeit bewunderte, berichtet Jasper Sharp. Rothkos erste Begegnungen mit Giotto und der Renaissance, mit Rembrandt, Jan Vermeer und der klassischen Kunst und Architektur – dann auch mit Paul Cezanne, Giorgio de Chirico, Joan Miro und Henri Matisse – fanden aber auch in Europa statt, wo er Kirchen, Kapellen und Sammlungen von Altmeistergemälden in Paris, London, Venedig, Arezzo, Siena, Rom, Pompeji und Florenz besichtigte und sich dem Studium historischer Kunst und Architektur widmete. Aber Rothko brach mit der Tradition, um zu einer radikal neuen Form künstlerischen Ausdrucks zu gelangen. Seine europäische Erfahrung war allerdings von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung seiner drei großen künstlerischen Unternehmungen: den Seagram-Gemälden, den Harvard-Wandbildern und der Rothko-Kapelle. Diese nichtkonfesssionelle Kapelle der Rice University wird jeden beeindrucken, denn ihre riesigen dunklen Bilder mit ihrem fast monochromen Schwarz, ihrem matten Pflaumenrot und dem finsteren Violett sind durch Rothkos Tod zu Gedenksteinen, zu Grabstelen geworden. Die Welt ist entschwunden und hat nichts als Leere zurückgelassen.

Titelbild

Sabine Haag / Jasper Sharp (Hg.): Mark Rothko.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern/ Ruit 2019.
184 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783775745628

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