Der Ursprung allen Unheils

Ayọb̀ámi Adébáyọs Roman „Bleib bei mir“ nimmt die Alltagswelt der nigerianischen Yoruba kritisch in den Blick

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Literarische Werke nigerianischer SchriftstellerInnen erscheinen, wenn auch in geringer Zahl, seit längerem immer wieder einmal auf dem deutschen Buchmarkt. Meist haben sich die AutorInnen da schon längst einen Namen gemacht, wie etwa Chinua Achebe bereits vor über einem halben Jahrhundert und Chimamanda Ngozi Adichie seit Beginn des neuen Jahrtausends, oder sie sind in einem bestimmten Genre unterwegs und zumindest dessen Fans nicht ganz unbekannt wie etwa die afrofuturistische SF-Shooting-Star Nnedi Okorafor. In jüngster Zeit treten auch einige SchriftstellerInnen des zentralafrikanischen Landes hinzu, die sich ihre literarischen Sporen erst noch verdienen müssen. Chinelo Okparanta etwa, und nun Ayọb̀ámi Adébáyọ, deren Erstling Stay with me jüngst bei Piper in deutscher Übersetzung erschien.

Adébáyọ hat den einzelnen Teilen ihres Romans jeweils kurze, im Jahr 2008 handelnde tagebuch- oder briefartige Kapitel vorangestellt, in denen mal der, mal die Ich-ErzählerIn ein Du anspricht, dass sich als die jeweilige EhepartnerIn entpuppt. Yejide erzählt das erste dieser vorangestellten Kapitel. Seine Widersprüche machen neugierig auf die eigentliche Handlung, die bereits mehr als zwanzig Jahre zuvor einsetzt. Zu diesen Widersprüchen zählt, dass sie „immer noch“ verheiratet ist, sich ihr Mann aber „eine andere Frau gesucht“ hat, oder dass sie unfruchtbar ist, aber Kinder hat. Der erste Widerspruch löst sich schnell dahingehend auf, dass in der nigerianischen Volksgruppe der Yoruba Polygamie nicht unüblich ist. So hat Yejide selbst vier Mütter, eben die Ehefrauen ihres Vaters. Und die Kinder könnte sie bekommen haben, bevor sie unfruchtbar wurde.

Yejide ist die zentrale Figur des Romans. Sie wird als selbstbewusste Frau eingeführt, die ihr Studium als Bachelor abgeschlossen hat, wobei allerdings nie klar wird, was sie eigentlich studiert hat. Jedenfalls finanzierte sie ihr Studium, indem sie anderen Frauen die Haare frisierte. Später gründete sie einen Frisiersalon, den sie auch noch während ihrer Ehe mit Akin, einem Bankmanager, betrieb. Beide gehören der Volksgruppe der Yoruba an, in der streng hierarchische Familienverhältnisse den Lebensweg einer Frau diktieren. So muss die Ich-Erzählerin etwa niederknien, während „eine ganze Reihe angeheirateter Verwandter“ beraten, wen sie als Zweitfrau zur Seite gestellt bekommen soll, da sich noch kein Nachwuchs eingestellt hat. Dabei haben Untersuchungen in einem Krankenhaus ergeben, dass sie durchaus fruchtbar ist. Eigentlich wollen weder sie, noch ihr Mann Akin polygam leben. Doch eines Tages wird sie damit konfrontiert, dass er schon vor einer ganzen Weile zum zweiten Mal geheiratet hat.

Yejide will nun unbedingt vor der Zweitfrau Funmi schwanger werden. Überhaupt gilt ihr die Mutterschaft als höchstes Glück und eigentlicher Lebenszweck einer Frau. Diese Überzeugung teilt sie mit allen ihren Geschlechtsgenossinnen, auch die Männer des Romans sind keineswegs anderer Ansicht. Obwohl die der angelikanischen Kirche angehörende Christin Yejide den allgegenwärtigen Wunder-, Geister- und Aberglaube immer für Unsinn gehalten hat, sucht sie den „Propheten“ auf dem „Berg der beispiellosen Wunder“ auf, um schwanger zu werden,  nachdem sie mit der Zweitfrau konfrontiert wurde. Der wundertätige Mann versichert ihr tatsächlich, dass sie bald ein Kind gebären werde. Fest davon überzeugt, nun schwanger zu sein, steigt sie wieder hinab – und leidet danach über ein Jahr lang an einer Scheinschwangerschaft mit allen Symptomen einer tatsächlichen.

Zwar sind es vor allem die Frauen, die auf ihre Geschlechtsgenossinnen Druck ausüben, Mutter zu werden, und die dem Wunder- und Geisterglauben besonders stark anhängen. Doch auch die Männer akzeptieren, „dass es keinen Grund gibt auf der Welt zu sein, wenn man keine Kinder hat“, und besorgen sich „Zaubertränke“ oder besuchen „traditionelle Wunderheiler“, um Väter zu werden. Tatsächlich erfüllt sich der Wunsch der Ich-Erzählerin irgendwann und sie gebiert ein Kind. Doch ist das Glück nicht von langer Dauer, denn es stirbt schon bald an der Sichelzellenanämie, einem in West- und Zentralafrika verbreiteten Gendefekt.

Mit der Krankheit, den beengenden (Groß-)Familienverhältnissen und dem Diktat, Mutter werden zu müssen, sind zentrale Themen des Romans genannt. Hinzu tritt die Doppelmoral, die Männern mehrere Frauen gestattet, während Frauen nur einen Geschlechtspartner, ihren Ehemann, haben dürfen. So reagiert Akin nicht nur aggressiv, als Yejide ihm sagt, sie wolle ein Kind, egal von wem, sondern lässt angesichts einer Liebesaffäre Yejides seiner gewalttätigen Raserei freien Lauf. Scheinbar beiläufig erwähnt wird außerdem, dass es Yejide nach der Geburt wichtig ist, „eine schön enge Scheide“ zu haben, die auch wirklich „eng genug“ ist, und einiges dafür in Kauf nimmt.

All dies wird eher implizit kritisiert. Wie sich zeigt, liegt die letzte Ursache allen Unheils, das zu Scheinschwangerschaften, Wunderglauben, Ehebruch, Hinterlist und Misstrauen, ja bis hin zu einem Mord reicht, in der von fast allen Figuren mitgetragenen Überhöhung von Mutterschaft, der zufolge nicht einmal Gott „wie eine Mutter“ ist, eine Frau aber Mutter sein muss. Nur die Sichelzellenanämie kann dieser Manie nicht angelastet werden.

Während es sich bei Yejide in ihrem Mutterschaftswahn und der daraus resultierenden mütterlichen Selbstaufgabe um eine nicht allzu sympathische Ich-Erzählerin handelt, der durchaus zuzutrauen ist, dass sie sich einer möglichen Tochter oder Schwiegertochter gegenüber genauso fatal verhalten würde, wie ihre Schwiegermutter ihr gegenüber, erweist sich Akin als unzuverlässiger Ich-Erzähler, der alle und jeden einschließlich seiner selbst und so auch der Lesenden belügt. Aus gutem Grund, wirft Yejide ihm vor, „ein Verräter, ein Betrüger, und der größte Lügner von Himmel, Hölle und Erde“ zu sein.

Nur in ihrer Sorge um ihr Kind hat die Protagonistin eine eigene unverkennbare Stimme, Akin nur in seiner Raserei. Ansonsten gelingt es der Autorin kaum, ihren beiden Ich-ErzählerInnen je individuelle Stimmen zu verleihen. Auch stehen gelegentlich eingestreute kurze Absätze über die politischen Ereignisse in Nigeria fremd neben der eigentlichen Handlung und wirken daher unmotiviert. Geschickt hantiert die Autorin hingegen mit Zeitsprüngen, Rückblicken und Cliffhangern. Gegen Ende des Romans bestätigt sich zur Verblüffung des Rezensenten zudem eine früh gehegte und bald wieder vergessene Vermutung. Selbst die Bedeutung des Titels erweist sich als Überraschung. Es ist nämlich keineswegs so, dass die Protagonistin ein Kind will, um ihren Mann an sich zu binden. Das scheinbare Happy End des Romans wiederum zeigt, dass sich nichts geändert hat, schon gar nicht zum Besseren, und der Ursprung allen Unheils nach wie vor Bestand hat.

Titelbild

Ayobami Adebayo: Bleib bei mir. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Maria Hummitzsch.
Piper Verlag, München 2018.
351 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783492058902

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