Von Menschen, Hunden und Renate

Giulia Beckers Debütroman „Das Leben ist eins der Härtesten“

Von Malin ZinkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Malin Zinke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mandarine Schatzi ist tot. Jetzt ist Renate ganz allein. Eigentlich hat sie noch einen erwachsenen Sohn, eine beste Freundin und Kontakt zu einer dubiosen Loverboy-Bande aus Weißrussland. Aber ohne ihren Malteser-Mischling versackt sie mit Prosecco im letzten gewaschenen Kleidungsstück – einem Bikini – vor dem Fernseher. Es läuft Teleshopping.

Bereits auf den ersten drei Seiten bringt Giulia Becker den Leser zum Schmunzeln, Kopfschütteln und Mitleiden. Ihr Debütroman Das Leben ist eins der Härtesten glänzt mit drei humorvoll skurril beschriebenen ProtagonistInnen: Silke, Willy-Martin und Renate haben alle mit mehr oder weniger großen Alltagsproblemen zu kämpfen. Willy-Martin mit seiner Abscheu vor Hunden und einer übergriffigen Onlinebekanntschaft, die es sich uneingeladen in seiner Wohnung bequem macht – zusammen mit Bounty, ihrem Golden Retriever. Silke, die vor Jahren die Notbremse in einer Regionalbahn zog und seitdem Sozialstunden in der Bahnhofsmission abarbeitet, wo sie sich um Zippo kümmert – einen Obdachlosen mit Prostatakrebs. Und Renate, ihr Hündchen ist gestorben, genauer gesagt in einer Punica-Flasche ertrunken, hat sich im Alkoholrausch mit Teleshoppingartikeln eingedeckt. Nicht zu vergessen die 97-jährige Frau Goebel. Zusammen fliehen die vier aus dem münsterländischen Borken ins brandenburgische Paradies: Tropical Island. Warum? Es ist Frau Goebels letzter Wille – noch einmal raus aus der kleinen Stadt.

Das Kleinstadtleben kennt die Autorin Giulia Becker zur Genüge, schließlich kommt sie nach eigenen Angaben aus „einem Dorf hinter einer Kleinstadt hinter Siegen“. Ihr Twitter-Account (Schwester Ewald), der aus einem Seminar ihres Studiums der Medienwissenschaften hervorging, machte sie bekannt und bescherte ihr als bisher einziger Frau einen Platz am Tisch des Autorenteams für Jan Böhmermanns Neo Magazin Royal. Die junge Schriftstellerin zog es in die Medienmetropole Köln, wo sie mit ihrem Erstlingswerk im März den Debütpreis der lit.COLOGNE gewann.

Ihre Romanfiguren sind vermutlich auch in jeder deutschen Stadt anzutreffen. Mit klugen Alltagsbeobachtungen und einem gewitzten Ton belustigt sich die Autorin über Mittvierziger, die in ergonomischer Funktionskleidung und teurem Liegefahrrad – natürlich einklappbar – jeden, der es nicht wissen will, über ihre neuesten Gadgets aufklären; Chefs, die aus einer öffentlichen Einrichtung eine urbane Wohlfühloase schaffen wollen. Mit dem richtigen „Erfolgs-Mindset“ und einem „business casual“ Dresscode – schließlich darf der frisch aufgebrühte Karamell-Macchiato in einer Bahnhofsmission nicht fehlen. Auch TV-Restauranttester und Lifecoach-Gurus bekommen ihr Fett weg. Lächerlich wirken teilweise auch die Hauptfiguren:

Als es klingelt, schreckt Willy-Martin vom Sofa auf. Gerade hat er eine Tüte Pombären geöffnet, Geschmacksrichtung Ketchup, er trägt schon seine Haushose, die im Gegensatz zu seinen Straßenhosen gut sitzt, Gummizug sei Dank. Eigentlich ist Willy-Martin die Person Mensch, die sich totstellt, wenn es klingelt, obwohl man keinen Besuch erwartet.

Doch sind die Figuren so gut charakterisiert, dass einem mit der Zeit klar wird, was die drei beziehungsweise vier Wochenendurlauber neben ihrer Reise gemeinsam haben: Sie sind einsam und fühlen sich ihren Problemen hilflos ausgeliefert. Ob ein Kurztrip nach Tropical Island die Lösung aller Schwierigkeiten ist, darüber darf sich jede/r LeserIn gerne selbst eine Meinung bilden.

Distanziertes Lesen dürfte bei diesem Buch schwerfallen. Trotz klischeehafter, überspitzter Darstellung der ProtagonistInnen schafft Giulia Becker durch ihre Alltagsbeobachtungen immer wieder Nähe zwischen LeserInnen und Romanfiguren, was diese nicht zu bloßen Stereotypen verkommen lässt. Willy-Martin trägt am liebsten kurzärmlige, karierte Hemden zu cognacfarbenen Ledersandalen und kommt beim Online-Kniffel so richtig in Fahrt. Das Bild, das im Kopf entsteht: Ein lächerlich-komischer Verlierertyp. Seine naive, unbeholfene Verliebtheit kann dann aber wohl jeder nachvollziehen und sie lässt den/die LeserInnen richtig mitfiebern. Ähnlich verhält es sich mit den beiden Frauen. Viele haben diese eine Tante, die nach dem x-ten Glas Prosecco allen, die nicht rechtzeitig in Deckung gegangen sind, ihr vermeintliches Leid klagt, das stets größer ist als jede humanitäre Katastrophe. Und dann vielleicht die beste Freundin der Mutter, die wirklich in Schwierigkeiten steckt, aber anstatt sich selbst zu helfen noch Charity-Projekte für die halbe Welt organisiert. Menschen aus dem wirklichen Leben, die „Feine Milde“ von Tchibo trinken. Aus den dunkelblauen Glühweintassen „vom Weihnachtsmarkt, für die man immer mehr Pfand zahlen muss, als das Getränk an sich kostet.“ Die hilflose Komik von Willy-Martin, Silkes Sarkasmus oder Renates albernes Verhalten – alle drei Charaktere haben eine eigene Stimme, die sie zu mehr als bloßen Comedy-Gestalten in einem unterhaltsamen Werk machen.

Mit 224 Seiten, und in kurze Abschnitte unterteilt, in denen die multiperspektivische, personale Erzählweise zwischen den Figuren hin und her wechselt, ist das Buch ideal für eine Zugreise. Spitzzüngig und kurzweilig geschrieben, ist die Stärke des Romans – ähnlich wie bei der Deutschen Bahn – nicht unbedingt das Erreichen eines Zieles beziehungsweise des Endes der Geschichte, sondern der Weg voller Überraschungen, skurriler Gestalten und tragikomischer Momente.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Guilia Becker: Das Leben ist eins der Härtesten.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2019.
224 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783498006891

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