Chronik der homosexuellen Emanzipation

Christoph Isherwoods Roman „Die Welt am Abend“, 1954 erschienen, liegt zum ersten Mal auf Deutsch vor

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es beginnt auf einer Party, Ende der 1940er Jahre: Stephen Monk, ein reicher junger Nichtstuer und Dandy, erwischt seine Frau Jane in flagranti, nachdem er es schon lange geahnt hat. Dennoch: Jetzt ist es genug. Überstürzt fliegt er von Kalifornien an die Ostküste, zu seiner Tante Sarah, lässt sich dort von einem Lastwagen anfahren und liegt dann mit einem gebrochenen Bein im Bett. Umsorgt von Sarah und Gerda Mannheim, einer aus Deutschland geflohenen Jüdin, deren Mann noch in Europa ist, im Widerstand oder tot, Gerda weiß es nicht.

Jetzt beginnt er, bewegungslos geworden, über sein Verhältnis zu seiner ersten Frau, der berühmten und etwas älteren Schriftstellerin Elizabeth Rydal nachzudenken, die ein paar Jahre zuvor gestorben ist. Elizabeth war elegant und klug –und sie ist schwerkrank. Er betet sie an, vom ersten Moment an, fühlt sich ihr unterlegen. Sie heiraten und reisen durch Europa. Sie schreibt ihre Romane, er hat Affären mit mehreren Frauen, die ihm aber nichts bedeuten. Einmal auch mit einem jungen Mann, Michael Drummond, und es stellt sich fast nebenbei heraus, dass er vor der Nazizeit in Berlin schon mehrfach homosexuelle Abenteuer hatte, und zwar in allen möglichen Spielarten: „In Berlin reichte es nicht aus, nur Sex zu wollen; man musste sich spezialisieren: eine halbwüchsige Jungfrau, eine siebzigjährige Alte, ein Mädchen mit Peitsche und hohen Stiefeln, einen Transvestiten, einen Polizisten, einen Pagen oder einen Hund verlangen.“ Nun liegt Stephen im Bett, liest und ordnet Elizabeths Briefe, um sie zu einem Buch zusammenzustellen.

Die Welt am Abend, 1954 im Original erschienen und jetzt zum ersten Mal auf Deutsch, gehört zu Isherwoods Chronik der homosexuellen Emanzipation im 20. Jahrhundert und deren Unterdrückung durch die Gesellschaft. Isherwood hat von dieser bürgerlichen Welt schon in Leb wohl Berlin, der Vorlage für Cabaret, und Der Einzelgänger – verfilmt als A Single Man – erzählt. Auch in Die Welt am Abend geht er subtil vor, erzählt in Andeutungen und leisen Hinweisen von den Veränderungen in der Gesellschaft und in seinen Protagonisten. Am Schluss willigt Monk in die Scheidung von Jane ein und schreibt in einem Brief:

Ich bin glücklich, und in gewisser Weise glaube ich, dass ich es niemals zuvor gewesen bin, in meinem ganzen Leben nicht. Es ist ganz anders als die Art und Weise, wie ich mit Elizabeth glücklich war. Ich kann nur sagen: Ich fühle mich frei.

Isherwood erzählt diese auch sexuelle Selbstfindung in seinem typischen leicht ironischen, eleganten, klugen und sanften Ton. Die Botschaft des Buchs ist einfach: Finde deinen eigenen Weg im Leben, egal was andere sagen oder denken, egal, was die Gesellschaft vorschreibt. Manche Gelegenheiten kommen nie wieder.

Titelbild

Christopher Isherwood: Die Welt am Abend. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2019.
384 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783455405828

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