Die Ernsthaftigkeit der Sprache

Peter Handkes funkelnde Journalaufzeichnungen der Jahre 1982–1987 bereichern in höchster Eigenständigkeit die Diskussionen um eine ästhetische Lebensform

Von Simon ScharfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simon Scharf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Beschäftigung mit dem hochdekorierten sowie hochumstrittenen Schriftsteller Peter Handke wendet aktuell gewissermaßen die Spielregeln von Erregungsgesellschaft und Empörungsdemokratie an und verknüpft seinen Namen reflexhaft mit politisch heikelsten Fragestellungen innerhalb der Auseinandersetzungen zu den Jugoslawienkriegen der 1990er Jahre. Bei vollständiger Entkernung des ästhetischen Profils seiner Texte wird er zuweilen nur noch als politische Stimme wahrgenommen – in Analogie etwa zu einem Michel Houellebecq und der Instrumentalisierung seines Werks im Sinne islamkritischer politischer Stellungnahmen. Sicherlich sind die politischen Äußerungen Handkes zu diskutieren und zu kritisieren (das sei in jedem Falle als Zugeständnis eingeräumt); doch führt die Überblendung von Politik und Ästhetik im Extremfall leider zur Irrelevanz letzterer, zur Schachmattsetzung ihres Eigenwerts und genuinen Potenzials. Beispielhaft für diesen Umgang mit Handke sei auf eine jüngst in der ZEIT publizierte „Rezension“ zu seinen Journalaufzeichnungen Am Felsfenster morgens (in der 2019 im Suhrkamp-Verlag erschienenen Taschenbuchausgabe) verwiesen, die zu 60 Prozent aus Einlassungen zu Handkes politischen Äußerungen bestand und den restlichen Raum (der insgesamt ohnehin knapp bemessen war) mit überaus allgemeinen inhaltlichen Annäherungen an den Text füllte und nur nebulös auf Handkes enorm eigenständige und hier im Folgenden zu würdigende Ästhetik zu sprechen kam.

Um diesen Fehler einer politischen und nur zeitgeschichtlich einordnenden Betrachtungsweise des Werks nicht zu wiederholen, sei nun unmittelbar auf den Gegenstand Bezug genommen: Der 1998 erstmalig publizierte Journaltext, der aus einer immensen Fülle von Beobachtungen, Zitaten, Deutungen und Interpretationen, Aphorismen, Sprachspielen etc. besteht, die der Autor zwischen 1982 und 1987 (in Salzburg) zu Papier brachte, entzieht sich ob seiner Vielfalt und seines tiefschürfenden Betrachtungswinkels eigentlich einer seriösen Besprechung. Möglich scheint unter diesen Voraussetzungen aber etwas, was Handke selbst – als Mittel der Wahl zur (ästhetischen) Lebensbewältigung – entschieden bejaht: die Annäherung und der Versuch. In diesem Sinne muten Handkes feine, subtil gewebte und minutiöse Sequenzen wie Zeichen einer ästhetischen Lebensform an. Sie bekräftigen gewissermaßen das Bonmot, das der Autor selbst den allzu schlagzeilenorientierten Journalisten entgegenschmetterte und das ihn als eben von Tolstoi, Homer und Cervantes kommenden Schriftsteller positionierte: Die radikale Position eines Ästhetizismus durchschreitend, liefern diese kleinen Stücke den Beleg für eine Existenz, die nur und ausschließlich über die Sprache als würdig, lebbar und letztlich von außen nachvollziehbar erscheint. Handke seziert die deutsche Sprache, notiert kleinste Beobachtungen an und mit der Sprache, bestimmt und überschreibt eigene Begriffe, Gefühle, Möglichkeiten des Ausdrucks und definiert sich selbst als genuin In-der-Sprache-Seienden. Überdies erprobt er sich an einem literarischen Umgang mit Raum und Zeit, fixiert das Momentane, die Präsenz von Augenblick und Außenraum und stellt haiku-artig das Erlebte still, reflektiert einen Modus der resonanten Anverwandlung von Welt – wie der Soziologe Hartmut Rosa dies mutmaßlich umschreiben würde. Neben dieser Offenheit in tastenden Entwürfen tritt der Autor aber auch als Aphoristiker, mitunter als subtiler Kritiker des Gesellschaftlichen von Literatur und Politik in Erscheinung und bespielt damit in gewisser Weise die äußeren Zuschreibungen an ihn als positionsfreudig und meinungsstark. Dennoch bleibt die Grundnote seiner Ausführungen eine dezent-fragende, kultiviert Handke einen Impetus des Sich-einlassen-Wollens auf das Unbekannte und Neue, wodurch er die Literatur insgesamt als ein ins Offene gerichtetes Wahrnehmungsmodell von Welt umschreibt, die Kunst verstanden haben will als eine Art Fortführung des philosophischen Dialogs. Mit ihr zusammen arbeitet Handke auch an einer bewussteren Aneignung der ihn umgebenden Natur, und vermisst den Raum alltäglicher Sinneindrücke des Natürlichen auf der Grundlage einer Wahrnehmungsmaxime, die sich aller Bewertung und definitiven Klassifikation entzieht.

Insgesamt bietet sich den Lesenden auf diese Weise ein nur schwerlich zusammenzufassendes Panorama einer vieldimensionalen Wahrnehmungs- und Handlungswelt des Autors, die Innen und Außen zusammendenkt und überdies der Versprachlichung und Erzählbarkeit der (eigenen) Welt in derart elaborierter Weise huldigt, dass ein Jenseits der Ästhetik schlicht nicht denkbar ist. Handke führt in seinem Text damit implizit auch eine gesellschaftspolitische Generalabrechnung mit der Vorstellung einer funktionalen, relevanzorientierten und/oder pragmatischen Sprache, die nur einen zu transportierenden Inhalt kennt, nur Kommunikationsmedium ist. Sein Journal formuliert den machtvollen Anspruch einer existenziellen Ästhetik, die Sprache und Sein zusammendenkt und das Foucault´sche Konzept der Verquickung von Ästhetik und Existenz (als Neubetrachtung antiker Grundlagen) im gegenwärtigen Kontext neu kalibriert. Man kann diese ästhetische Radikalität als Schwärmerei und Rückwärtsgewandtheit abwerten, sie aber genauso als kritischen Gegenimpuls und fordernden Anspruchmit Blick auf das richtige Leben im falschen (Theodor W. Adorno) ernstnehmen.

Titelbild

Peter Handke: Am Felsfenster morgens. (und andere Ortszeiten 1982–1987).
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
625 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783518470312

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