Die Karibik in Momentaufnahmen

Der kolumbianische Autor Pedro Badrán erzählt in seinem Roman von der Magie der Fotografie

Von Martina KopfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martina Kopf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein verfallendes Strandhotel in der kolumbianischen Kolonialstadt Cartagena de Indias: Hier gibt es schon lange keine Gäste mehr, vielmehr wird das Hotel von einer Handvoll Hippies und Aussteigern besetzt, die sich irgendwie durchs Leben schlagen, tagsüber Kunsthandwerk oder wasserfeste Portemonnaies am Strand verkaufen und Massagen anbieten, nachts auf der Hotelterrasse herumlungern und auf den legendären Fotografen Tony Lafont warten, der das Hotel und seine Gäste zu unsterblichen Protagonisten machen sollte.

Pedro Badrán, einer der herausragenden Vertreter der „Post-post-García-Márquez-Generation“, hat eine Art fotografischen Roman geschrieben, der sich anfühlt, als würde man durch ein Fotoalbum blättern und das verfallende Hotel mit den schief hängenden Zimmernummern, dem bröckelnden Putz, den Mandelbäumen im Patio und den im Wind gegen die Wand schlagenden Fensterflügeln in Momentaufnahmen sehen. Das Titelbild der deutschen Übersetzung könnte bereits aus Tony Lafonts Kamera stammen, es handelt sich aber um eine Cartagena-Fotografie des kolumbianischen Fotografen Hernán Díaz (1931–2009) mit einer palenquera, einer Obstverkäuferin, die ihre Ware auf dem Kopf transportiert und diesen Namen trägt, weil sie aus San Basilio de Palenque kommt – auch das erfahren wir im Roman.

Tatsächlich macht Badrán ein morbides Gebäude mit all seinem Charme zu seinem Protagonisten, zum Zentrum, um das die alternierenden Erzählstimmen des Romans kreisen. Dieses Stimmenwirrwarr – es kommen Lafonts Geliebte Claudia Soraya, ein alter Freund und ein Fremder zu Wort – sorgt zu Beginn für Verwirrung, doch schon bald fühlt man sich vertraut im Kreise dieser Erzähler*innen, die ihre Diarrhö-Probleme („Alles mündet im Gaumen, der Geschmack von Rost auf der Zunge, der Brechreiz, die durch den Darm kriechende Schlange: ich habe kaum die Kraft aufzustehen, doch irgendwie taste ich mich die Wände entlang und stolpere zum Klo unter der Treppe, wo ich mich in einen Born flüssigen Kots verwandle.“) ebenso anschaulich beschreiben wie die unterschiedlichen Rundungen weiblicher Gesäße oder stürmischen Sex mit Lafont im schäumenden Wellengang. Einzelne Kapitel widmen sich Lafonts Logbuch und beschreiben seine mit Nummern versehenen Fotografien, die die Hotelszenerie mit allerlei skurrilen Persönlichkeiten in früheren, prosperierenden Zeiten dokumentieren. Mit Lafonts Verschwinden scheint der allmähliche Verfall des Hotels gänzlich unaufhaltbar. Immer wieder tauchen Männer mit gelben Helmen auf. Doch bevor es zu einem Abriss kommt, hat das Warten ein unerwartetes Ende.

Badráns stellenweise atemloser Erzählstil, der in der (geträumten?) Begegnung der Protagonisten mit dem Fotografen am Ende des Romans gipfelt und von dieser dann lustigerweise in einem eher nüchternen Ton berichtet, haben die Übersetzer Peter Schultze-Kraft und Rainer Schultze-Kraft geschickt ins Deutsche übertragen, nur an manchen Stellen wirkt sie etwas ungeschickt. So zum Beispiel, wenn es heißt: „Sich keine Hoffnungen machen und ohne zu verzweifeln.“ („Hay que vivir sin esperanza y sin desesperación“) oder „Zum Abschied gab ich ihr einen Klaps hinten drauf.“ Umso dankbarer ist man den Übersetzern dafür um die anhängende „kleine Kolumbienkunde“, die einige Begriffe, aber auch historische Persönlichkeiten einem mit Lateinamerika bzw. Kolumbien nicht so vertrauten Publikum erläutert.

Die Gestaltung der Ausgabe ist durch das bereits erwähnte Cartagena-Foto und den türkisfarbenen Einband – der an den karibischen Kolonialstil erinnert – bemerkenswert. Allerdings wundert man sich über die zwei verschiedenen Untertitel: Während es auf dem Einband heißt „Ein karibischer Roman aus der edition 8“, lautet der Untertitel auf der Titelseite des Buchs „Roman aus Cartagena de Indias“.    

Um es kurz zu machen: Zwar braucht man für diesen Roman anfangs auch etwas Geduld, doch er ist es wert, denn letztlich geht es – wie schon bei Beckett – genau darum: Um das Warten.

Titelbild

Pedro Badrán: Der Mann mit der magischen Kamera. Roman aus Cartagena de Indias.
Aus dem Spanischen von Rainer Schultze-Kraft.
Edition 8, Zürich 2019.
220 Seiten , 22,20 EUR.
ISBN-13: 9783859903593

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