Öffentlichkeit und Kritik

Zur Geschichte eines komplexen Begriffs

Von Jörg AubergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Auberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Öffentlichkeit und Demokratie sind miteinander verklammert", heißt es in einem klassichen Text Adornos aus den sechziger Jahren. Herstellung von Öffentlichkeit war somit stets ein kritisches und emanzipatorisches Projekt seit der Aufklärung. Die Geschichte des Begriffskomplexes "Öffentlichkeit"/"Publikum" zeichnen Peter Uwe Hohendahl, Professor an der Cornell University, und seine Mitarbeiter Russell A. Berman, Karen Krenkel und Arthur in ihrer Vielschichtigkeit vom Liberalismus des beginnenden 19. Jahrhunderts über die Moderne bis zur Postmoderne des 20. Jahrhunderts nach. Beleuchtet werden die unterschiedlichen Facetten sowohl der literarischen als auch der politischen Öffentlichkeit zunächst in Europa (England, Frankreich und Deutschland) und später in den USA. Öffentlichkeit ist zunächst ein kritisches Medium des aufklärerischen Bürgertums gegen erstarrte Verhältnisse und bietet die organisationelle Strukturierung des liberalen Publikums in Lesegesellschaften, wobei das Proletariat jedoch außen vor bleibt, wie Karen Krenkel in ihrer gerafften Darstellung der Marxschen Kritik der bürgerlichen Öffentlichkeit herausstreicht. Die Schattenseite einer "radikalisierten" Öffentlichkeit kritisierten Autoren wie Alexis de Tocqueville und Friedrich Nietzsche, die in der "öffentlichen Meinung" oder der amerikanischen "Community" eine Diktatur des Konformismus am Werke sahen.

Theoretischer Ausgangspunkt für die Autoren, die aus dem Umfeld der Zeitschrift "New German Critique" kommen, ist einerseits Jürgen Habermas' einflussreiche Studie "Strukturwandel der Öffentlichkeit" (1962), die in dem von der Kritischen Theorie beeinflussten amerikanischen akademischen Milieu der siebziger Jahre für Furore sorgte; andererseits wird auf den "klassischen" Text "Öffentlichkeit und Erfahrung" (1972) von Alexander Kluge und Oskar Negt rekurriert, wobei Arthur Strum zu Recht die Antiquiertheit des Konzeptes der "proletarischen Öffentlichkeit" bemängelt. "Proletarische Öffentlichkeit" mochte seine Berechtigung in den dreißiger Jahren haben, als ein klassenbewusstes Proletariat Medien wie Literatur und Film "umzufunktionieren" trachtete und Organisationen wie die literarischen "John Reed Clubs" (1928 - 1934), Zeitschriften wie die frühe "Partisan Review" oder Filmgruppen wie die "Film and Photo League" (1930 -1937) für sein Anliegen nutzte. Diese Medienpraxis war eine Frühform der "Gegenöffentlichkeit" als Kritik der "herrschenden Öffentlichkeit", die sich in den sechziger Jahren in der "underground press" und später in der Alternativpresse fortsetzte.

Der Vorzug des Buches ist sicherlich, den Begriff der Öffentlichkeit durch verschiedene historische Stränge zu verfolgen, Entwicklungen in straffer Form nachzuzeichnen und dem Leser eine ausführliche, thematisch geordnete Bibliographie an die Hand zu geben, wobei jedoch die chronologische Anordnung den Gebrauchswert mindert. Eine alphabetische Auflistung wäre geeigneter gewesen.

Darüber hinaus ist ein Manko des Buches, dass es eine Öffentlichkeit zu Grunde legt, die sich in traditionellen Medien bewegt, von liberalen Diskursmodellen von Habermas und John Dewey ausgeht und bei der "Öffentlichkeit nach der Wende" abbricht, ohne die "digitalisierte Öffentlichkeit" in Betracht zu ziehen. Bereits 1964 hatte Adorno den Einfluss der Profitökonomie auf die kritische Öffentlichkeit und das anti-aufklärerische Moment der "Informationsindustrie" beklagt, wobei das Recht auf Öffentlichkeit pervertiert werde. Das "World Wide Web" begünstigt nicht allein eine neue, direkte Form der Gegenöffentlichkeit (wie sie beispielsweise ZNet demonstriert), sondern auch die Nivellierung von Öffentlichkeit durch Exhibitionismus, Voyeurismus und Beliebigkeit, wobei jeder kritische Aspekt, es könnte auch anders gehen, vernachlässigt wird. Leider enthebt sich das Buch dieser intellektuellen Anstrengung, über die bloße akademische Darstellung eines ausgiebigen Quellenstudiums hinaus sich kritisch mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Nichtsdestotrotz bietet das Buch eine fundierte Grundlage, um von diesem Punkt aus weiterzudenken.

Titelbild

Peter Uwe Hohendahl: Öffentlichkeit - Geschichte eines kritischen Begriffs.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2000.
200 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3476016617

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