Zeitgemäßes über Asien

Die Reisenotizen des Schweizers Christian Kracht

Von Christina JungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Jung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einen modernen Blick auf die Welt verspricht das Vorwort von Joachim Bessing. Die Welt, das ist in diesem Falle Asien und der, dem das, was alle versuchen, hier gelungen sei, ist der Schweizer Christian Kracht. "Der gelbe Bleistift" versammelt 20 Geschichten, die allesamt zwischen 1992-99 in seiner gleichnamigen Kolumne in der "Welt am Sonntag" erschienen sind. So wenig wie der Titel darauf hinweist, dass es sich bei diesem schick in schlichtem Schwarz gehaltenen Buch um Reiseberichte handelt, so wenig entsprechen die darin präsentierten Momentaufnahmen den gängigen Konventionen dieses Genres. Kracht unternimmt gar nicht erst den Versuch, sich mit subjektiv geprägten szenischen Eindrücken dem vermeintlich so exotisch Fremden zu nähern oder nur die gängigen Vorstellungen abzurufen. Weder ist ihm gelegen an der Reproduktion von Hochglanzbildchen, noch will er sich als Lieferant von Insidertipps verstanden wissen, und auch den mahnenden Hinweis auf die Schattenseiten des westlichen Kulturimperialismus sucht man vergebens. Konsequent verweigert er eine mögliche Verwertung seiner Texte als Appetizer für den nächsten Drei-Wochen-Trip der Leser und Leserinnen der Reisebeilage.

Christian Kracht, Autor von "Faserland" und ehemaliger Indienkorrespondent des "Spiegel", lebt in Bangkok. Er ist mit Benjamin von Stuckrad-Barre befreundet, der auch gleich und gern in jeder dritten Geschichte zu Besuch kommt. Und er hat Witz. Aber es ist der Witz eines Individualisten, der sich behaglich eingerichtet hat und über den Dingen schwebt. Als Wissender bricht er zuweilen mitsamt Hello-Kitty-Kamera und Begleiterin, über deren Chanel-Nagellack-Nuance die geneigte Leserin nicht im Ungewissen gelassen wird, in die asiatischen Nachbarstaaten auf. Er flaniert durch Baku, Singapur, Peshawar, und die Leser flanieren mit ihm, bleibt mal hier mal dort stehen und sinniert amüsant, bisweilen zynisch-distanziert über das Hotel Stary Intourist, über Mango-Eis oder die Acht-Dollar-Granate, die er in der Waffenhochburg Darra eher unfreiwillig erworben hat. Auf dem Weg nach Japan verliert er sich ins Philosophieren darüber, was der Flugzeugfarbanstrich der jeweiligen nationalen Airlines über ihr Land verrät. Über Laos erfahren wir immerhin soviel: "Im Gegensatz zum Kambodschaner, (...( scheint der Laote ruhig, ausgeglichen, fast schläfrig in seinem Wesen. Laoten sind dicker, kleiner und zufriedener, Hobbitartiger als die Thai oder die Khmer. Könnte man sich der Volksseele der Laoten durch einen westlichen Vergleich nähern, dann wären die Schweizer ihnen am wesensverwandten: In sich gekehrt, aber auch in sich ruhend." Eben so wie Herr Kracht. Ab und zu reißt ihn allerdings - wie in "Als ich einmal sehr sportlich war" - die Angst vom Teakholzmöbel, dass das "Faul-in-irgendwelchen-Bars-in-Asien-Umhersitzen" in eine Sackgasse führe. Angesichts von kambodschanischen Demonstranten, die für die Erhöhung des Mindestlohns auf monatlich 60 US-Dollar kämpfen, muss auch er einsehen: "Wir sind feige Popper." Das hätte sich treffender nicht formulieren lassen.

Die Schelte, die die junge deutsche Autorengeneration - um das strapazierte Label einmal mehr zu bemühen - über sich ergehen lassen muss, nämlich nur noch unverbindlich, schnöselhaft und seicht zu sein, diese Schelte ist auch Christian Kracht nicht zu ersparen. Diese Positionslosigkeit, fürchte ich, ist es dann auch schon, was sich hinter dem Etikett der Modernität verbirgt.

Titelbild

Christian Kracht: Der gelbe Bleistift.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000.
8,60 EUR.
ISBN-10: 3462029053
ISBN-13: 9783462029055

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