Revolution und rote Schlüpfer

Jordi Sierra i Fabra reiht in "Tod in Havanna" Klischee an Klischee

Von Dorothea StresingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dorothea Stresing

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Daniel Ros ist eine bekannte Gestalt in der spanischen Krimilandschaft. Als Hauptfigur in zahlreichen Werken seines Schöpfers Jordi Sierra i Fabra betätigt sich der Journalist im Krimi-Metier. Der mysteriöse Tod eines befreundeten Kollegen, der wegen einer Reportage über den Sex-Tourismus auf Kuba unterwegs war, gibt Daniel Ros diesmal Gelegenheit, im weit entfernten Havanna der Wahrheitssuche zu frönen. Die Geschichte vermittelt den Eindruck, als habe der Kuba bereisende Autor Sierra i Fabra während eines zweiwöchigen Urlaubs in einer Touristensiedlung Eindrücke gesammelt, sie mit einigen Daten aus der neueren Geschichte des Karibikstaates angereichert und schematisch aus diesen Informationen einen Krimi konstruiert. Mit seiner langjährigen Erfahrung in diesem Genre gelingt ihm zwar eine tragfähige Krimikonstruktion. Die Erfahrungen, die er seinen Helden auf Kuba machen lässt, reihen sich allerdings recht klischeehaft aneinander.

Die erste heiße Spur, die Daniel Ros verfolgt, ist denn auch der - benutzte - rote Schlüpfer einer kubanischen Frau, der sich bei den Sachen seines Kollegen befindet. Auf einigen Fotografien ist auch die Trägerin des Schlüpfers zu sehen. Die Frau erfüllt damit das stereotype Bild von der schönen, begehrenswerten Mulattin: "Es war eine Mulattin mit einer seidenmatten, zimtfarbenen Haut, sehr langen, gekräuselten Haaren, dunklen Augen, sanften Lippen, groß, sehr schlank, kleine Brüste."

Auf Kuba gehört natürlich die Begegnung mit einer jinetera, einer Gelegenheitsprostituierten, von denen es mit dem wachsenden Tourismus viele gibt, zu den ersten Erlebnissen des Journalisten. Sierra i Fabra vermittelt den Eindruck, als gehöre die Prostitution auf Kuba moralisch in eine andere Kategorie als die Prostitution in den reichen Ländern. Dies erscheint eher als Rechtfertigungsstrategie für die ausführliche Darstellung des Milieus der jineteras denn als Versuch, sich beschreibend ihrer Lebensrealität zu nähern: "Manchmal traf ich auf ein Lachen, manchmal auf einen direkten Blick, aber nichts weiter. Ich nehme an, daß das der Unterschied war. Eine Prostituierte spricht dich an, informiert dich über die 'Gebührenordnung' [...]. Die Jineteras nicht. Das schien mir das traurigste zu sein, der Beweis für ihre Realität. Sie waren Heranwachsende, junge Frauen, wie die jungen Frauen in den spanischen Diskotheken, auf der Suche nach ein wenig Vergnügen, nach Tanz."

Ein touristischer Blick auch auf Havanna: Durch die Straßen rollen die Oldtimer, die notdürftig repariert werden, weil keine neuen Autos importiert werden können. Da wird an den Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbeispaziert, als befände man sich auf einer organisierten Städtetour. Auch ein Schnellkurs in kubanischer Geschichte wird geboten, wobei sich der Protagonist hin- und hergerissen fühlt zwischen seinen Sympathien für die Revolutionsführer Fidel Castro und Che Guevara und der Erkenntnis, dass mit Castro als Staatschef Kuba nie von der Handelsblockade der USA befreit werden kann. Doch letztlich solidarisiert sich der Dedektiv Ros mit den Kubanern gegen die Nordamerikaner: "An keinem Ort der Welt hatte ich mich bis jetzt so als Teil eines Landes gefühlt wie hier. Mir war, als könnte ich dem ersten Yankee, der mir über den Weg lief, einen Tritt in die Weichteile verpassen."

Bevor der reisende Reporter nach Spanien zurückkehren kann, wird er noch in ein Attentat auf Castro verwickelt und muss sich noch in eine Mulattin, eine jenetera, verlieben. Es fällt schwer, die Symbolik in beiden Handlungssträngen ernst zu nehmen: Lenkt Spanien etwa auch über 100 Jahre nach Beendigung der Kolonialherrschaft noch die Geschichte Kubas? Und mit der Verklärung der Lebensbedingungen auf Kuba bedient der Autor nur ein weiteres Klischee: Die Geliebte "Anyelín war [...] das Ergebnis des Scheiterns, nicht dieser Revolution, sondern des Scheiterns eines idyllischen Systems in einer sich ständig verändernden und im gewissen Maße perversen Welt. Eine Welt, in der die Ideale der Befreiung nichts gegen Begrifflichkeiten wie Kapitalismus, Herrschaft, Macht usw. ausrichten können."

Wie die kubanische Regierung derzeit auch, so sucht Ros schließlich die alleinige Schuld für den Zustand Kubas bei den USA und spricht so den Kubanern jegliche Handlungsmöglichkeit ab: "Meine Ergriffenheit galt Kuba und der Tatsache, daß es zerstört wurde. Und als erstes fiel mir ein, daß ich dafür die Yankees hassen mußte. Keine Ameise kann sich unter der Pfote eines Elefanten bewegen."

Bleibt die Frage an den Übersetzer: Haben Elefanten Pfoten?

Titelbild

Jordi Sierra i Fabra: Tod in Havanna.
Distel Verlag, heilbronn 2000.
277 Seiten, 12,30 EUR.
ISBN-10: 3923208421

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