Die Uni als Klinik

Jörg Uwe Sauers urkomischer Campus-Roman in Bernhardscher Manier handelt auch von der Psychoanalyse

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Laut lachen mußte ich bereits, als ich die Rezension zu diesem Buch in der "Süddeutschen Zeitung" las. Ihr habe ich, das soll über den möglichen Nutzen von Rezensionen doch mal ausdrücklich gesagt werden, zu verdanken, daß mir das Vergnügen an diesem urkomischen Roman nicht lange entgangen ist. Zugegeben, die Komik des Romans kommt nicht bei jedem gleich gut an. Uni-Erfahrung, ein geisteswissenschaftliches Studium, am besten ein literaturwissenschaftliches, sind von Vorteil, will man der Lust an diesem Text teilhaftig werden. Sonst entgeht einem das Vergnügen des Wiedererkennens von Bekanntem.

Der Campus-Roman heißt "Uniklinik" auch deshalb, weil an und in der dort geschilderten Uni alles krank zu sein scheint. Schon der erste Satz des Romans sagt es und signalisiert mit seiner grotesken Kunst der Übertreibung zugleich, welchem Autor dieses Buch fast alles verdankt: "Krank, so dachte ich, hier ist alles und jeder krank, und zwar unheilbar krank." Nein, mit den abgeschmackten Uni-Ressentiments des "Campus" von Schwanitz hat Sauers "Uniklinik" nichts gemeinsam. Gegenüber der literarischen Virtuosität und dem sprachlichen Witz des 1963 in Wanne-Eickel geborenen Autors muß die schlichte Prosa eines Schwanitz bei einem Vergleich hoffnungslos verblassen. Sauer hatte ein besseres Vorbild.

Zu dem gewitzten Spiel, das Sauer mit seinem Roman treibt, gehört, daß er wiederholt auf sich selbst verweist. Eine der Hauptpersonen, der Germanistik-Professor, der in der Uniklinik liegt, weil er sich beim Holzfällen ziemlich blöde angestellt hat, mokiert sich über die Dreistigkeit von Grass, den halben Fontane abzuschreiben, läßt sich über "die Problematik der Intertextualität aus" und über seine Schwierigkeit, bald selbst nicht mehr zu wissen, von wem ein Werk verfaßt worden sei. "So habe ihm selbst neulich ein Student ein Machwerk zur Beurteilung überlassen, welches zur Gänze aus Anspielungen auf das Werk Thomas Bernhards bestanden habe. Jener junge Autor, dessen Namen er naturgemäß vergessen habe, habe es, von der absoluten Phantasielosigkeit, Figuren und erzählerische Einfälle von anderen Autoren zu benutzen mal abgesehen, nicht im mindesten vermocht, den doch anerkennenswert komplizierten Satzbau Bernhards [...] nachzubilden." Der junge Autor scheint Sauer zu heißen und das plagiatorische Machwerk "Uniklinik". Doch widerlegt der Roman an eben dieser Stelle mit einem hyperkomplexen Satz, der sich über eine ganze Seite erstreckt, die professorale Kritik.

"Playgiarism" - mit diesem Wortspiel wurde schon in den siebziger Jahren der moderne Anspruch auf Originalität zurückgewiesen und der plagiatorische wie zugleich spielerische Umgang postmoderner Literatur mit "Prätexten" trefflich auf den Begriff gebracht. Ein Bernhard-Imitat und ein souveränes Spiel mit Bernhards Werken zugleich ist dieser Roman. Die Literaturtheorien, die an den Universitäten zirkulierten, als Sauer Literaturwissenschaft studierte, sind in diesem Roman nicht nur zum Thema, sondern zur literarischen Praxis geworden, allerdings ohne den verbissenen Ernst und das terminologische Imponiergehabe, mit dem sie an der Universität diskutiert wurden. Gespielt wird allerdings nicht nur mit Thomas Bernhard, sondern auch mit Hölderlin, Kant, Hegel, Foucault, Eco und vielen anderen.

In diesem Text ist alles aus Texten gemacht. Man trinkt nicht einen Grappa, sondern einen Grabbe. Bei einem Benefizfußballspiel der Universität zugunsten der Aachener Heilanstalt wird Lothar Matthäus, der wegen Recherchen zu seinem neuen Buch verhindert ist, durch den Erzbischof Spadolini ersetzt, Handke steht im Tor, und der Schiedsrichter heißt Horkheimer. Und nicht nur, weil ein Buch von Bernhard "Der Stimmenimitator" heißt, wird auch eine Romanfigur so genannt, sondern auch weil diese Figur "die Stimme Marcel Reich-Ranickis mit geradezu größter Perfektion nachzuahmen verstand."

Wo alles so krank und verrückt ist wie an dieser Uni, hat naturgemäß auch die Psychoanalyse ihren festen Ort. Der Protagonist träumt wiederholt von "Irmas Injektion". Und er gehört zu den Patienten, die ihr Seelenheil bei der Karikatur eines Psychoanalytikers suchen, die den Namen Doktor Zuckerstätter trägt. Der Besuch in seiner Praxis ist kein Zuckerschlecken. Die Schilderung darüber zitiere ich abschließend als Kostprobe. Es gibt bessere in dem Roman, aber sie ist durchaus typisch für die grotesken Absurditäten, die einem hier begegnen. Typisch daran ist weiterhin, daß Psychoanalytiker in Romanen und Filmen der Gegenwart oft ziemlich komische Figuren abgeben: "Doktor Zuckerstätter war ein ausgesprochener Sicherheitsfanatiker: er ließ keine fremden Personen, und deshalb auch keine Patienten, in sein Haus. Als Wartezimmer und Praxisraum diente ein Sofa, das draußen vor der Tür vor einer Gegensprechanlage plaziert war. Heute mußte ich das Sofa mit einem schlafenden Hund teilen, hatte jedoch die Gegensprechanlage zu meiner alleinigen Verfügung. Ich drückte auf den Knopf derselben. Die Stimme Doktor Zuckerstätters meldete sich umgehend. Ich solle wie üblich das Geld in seinen Briefkasten werfen, danach könne ich eine Stunde lang mit ihm sprechen. Nachdem ich das Entgelt für die Sprechstunde in den Briefkastenschlitz geworfen hatte, blieb ich eine Stunde lang stumm vor der Gegensprechanlage sitzen, ich hatte hier noch nie etwas gesagt. Nach einer Stunde drückte ich wieder den Knopf der Gegensprechanlage und Doktor Zuckerstätters Stimme sagte blechern, seine Sprechstunde sei nun beendet, diese Sitzung habe Fortschritte gebracht, und ich könne ohne weiteres wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen."

Titelbild

Jörg Uwe Sauer: Uniklinik.
Residenz Verlag, Salzburg Wien 1999.
222 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3701711356

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