Scharfzüngig und doch verständnisvoll

Monika Marons gesammelte Einsprüche

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Monika Maron muss nicht erst vorgestellt werden. Oder muss Monika Maron erst vorgestellt werden? Ihre Bücher sind stets in den Feuilletons der großen Zeitungen und Zeitschriften besprochen worden, in der Literaturwissenschaft scheint dies aber merkwürdig folgenlos geblieben zu sein. Ich kenne nicht viele Leute, die mehr als ein Buch von ihr gelesen haben - wenn überhaupt. Mir scheint es, als habe sie stets im Schatten anderer gestanden, in dem von Christa Wolf beispielsweise, wenn es vor dem Mauerfall darum ging, dass etwas faul war im Staate DDR. Oder in dem von Martin Walser, wenn es darum ging, den Mauerfall und die Wiedervereinigung erst herbeizusehnen, dann freudig zu begrüßen. Im Schatten von Günter de Bruyn, wenn aus ostdeutscher Sicht die DDR-Geschichte literarisch aufgearbeitet werden sollte. Im Schatten von Günter Grass, wenn Kritik am Procedere der Wiedervereinigung geübt wurde. Die Liste wäre problemlos verlängerbar, die Namen sind nur die bekanntesten im jeweiligen Kontext.

Vielleicht ist Monika Maron am ehesten noch mit de Bruyn vergleichbar, da sie sich stets um eine differenzierte Darstellung bemüht und nie etwas von oben herab verkündet. Anders als de Bruyn neigt sie aber nicht zu epischer Breite und dokumentarischen Formen, sondern sie sagt klipp und klar ihre Meinung. Für sie schließen sich Deutlichkeit des Urteils und Verständnis für andere Lebensläufe, für andere Meinungen nicht aus. Gerade deshalb wäre es so wichtig, wenn Maron mehr gelesen würde.

Mit "Flugasche" (1981) und "Die Überläuferin" (1986) schrieb die Stieftochter des damaligen DDR-Innenministers Karl Maron kritische Bücher, ihre Übersiedlung in den Westen war, wenngleich schmerzhaft, nur konsequent. "Stille Zeile Sechs" von 1992 ist, sollte ein solches persönliches Bekenntnis erlaubt sein, für mich der beste Roman über die untergegangene DDR - von kompromissloser Härte und dennoch voller Verständnis. Ein menschliches Buch über das Ende eines unmenschlichen Systems.

Das alles ist Geschichte, außerdem Vorgeschichte zu dem Buch, um das es nun gehen soll. "Quer über die Gleise" ist die Sammlung von Reden und Zeitungs- oder Zeitschriftenartikeln der 90er Jahre betitelt. Wer es nicht gleich wusste, erfährt im ersten Text, dass es sich bei dem Titel um ein Schlüsselzitat aus Uwe Johnsons "Mutmassungen über Jakob" handelt, von Maron als "Schicksalsbuch" bezeichnet. Hier klingt bereits das Generalthema des Bandes an, es geht um die Aufarbeitung der Geschichte von DDR und wiedervereinigtem Deutschland, um Vergangenheit und Gegenwart, und stets mit der für Maron typischen humanen Perspektive. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Seine Misshandlung wird aufgezeigt und gebrandmarkt, die Achtung seiner Rechte als freies Individuum wird eingefordert, selbst dann, wenn es nur um das Verhalten von Postbeamten geht.

Maron fechtet aber auch in eigener Sache. Sie hat keine Schwierigkeit zu zeigen, dass man ihr übel mitgespielt hat. Ihre angebliche Stasi-Tätigkeit, von zwei Medien aufgebauscht, entpuppt sich so, in der Terminologie der DDR, als konterrevolutionärer Akt, als Versuch, dem untergegangenen Staat seine Irrtümer entgegenzuhalten. Das Kapitel "Rollenwechsel" sollte zur Pflichtlektüre für jeden Literaturkritiker werden. Ohne Zeigefinger und gerade deshalb so überzeugend weist Maron nach, dass ihr autobiographisches Buch "Pawels Briefe" eindeutig falsch gelesen wurde und manche dieser Lesarten - nicht juristisch, aber moralisch - den Tatbestand der Beleidigung erfüllen. Textstellen wurden ungenau zitiert, in ihrer Aussage verfälscht und geradezu abenteuerliche Schlussfolgerungen an solchermaßen verfälschte "Belege" geknüpft. Maron versucht aber nie, sich als Überlegene, als gute Fee zu präsentieren, der mit jeder Kritik bitter Unrecht geschehen ist. Hier wie an anderen Stellen des Buchs übt sie, wo es ihr angebracht zu sein scheint, Selbstkritik.

Eine mittlere Position vertritt sie auch bei einem anderen heiklen Thema, das wird ihr nicht nur Freundinnen eingebracht haben. Es geht um Fragen der Gleichberechtigung von Frauen. Plakative Titel wie "Versagen ist männlich" und "Weibliche Kreativität" verlieren sofort ihre scheinbare Eindeutigkeit, wenn Maron erklärt, dass sie gerade die Versagensangst bei Männern anziehend findet und nicht weiß, welche Kreativität spezifisch weiblich sein soll. Eindeutig ist ihr Votum für die Selbstbestimmung der Frau über das Leben von Ungeborenen. Aber nicht aus feministischer Perspektive, sondern aus der Grundüberzeugung heraus, dass individuelle Freiheit das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper grundsätzlich einschließt.

In Schullesebücher, Kapitel "Das wiedervereinigte Deutschland", gehören "Vier Archetypen" und "Zwei Brüder". Der erstgenannte Text ironisiert Verhaltensweisen von Ost- wie Westdeutschen, der letztgenannte macht aus der Geschichte der Wiedervereinigung die Lebensläufe zweier ungleicher Brüder. Beide Kapitel enthalten sich der einen oder anderen Seite Recht gebender Urteile und werben für gegenseitiges Verständnis.

Zwei kritische Anmerkungen bleiben, letztlich Marginalien. In "Penkun hinter der Mauer" heißt es: "Eine dieser lohnenden Erfindungen war 'Die Mauer in den Köpfen', nachdem die wirkliche Mauer gefallen war. Ich weiß nicht, ob einer das Wort zuerst benutzt hat oder ob es, weil es so nahe lag, vielen gleichzeitig eingefallen ist", doch hält Maron es für eine neue Mauern errichtende Metapher und deshalb für verfehlt. Mit einigen Nachfragen hätte Maron sicher herausbekommen, dass es sich um ein Zitat aus Peter Schneiders "Der Mauerspringer" von 1982 handelt, das ursprünglich eine ganz andere, Maron vergleichbare Intention verfolgte und ihren Tadel, zumindest in dieser Schärfe, nicht verdient. Der Begriff ist in der Literatur nicht dazu verwendet worden, eine neue Mauer zu errichten, sondern eine mentale Mauer zu identifizieren, die es schnellstmöglich einzureißen gilt. Auf S. 49 wird die Vereinigung von BRD und DDR um ein Jahr vordatiert: "3. Oktober 1989". Dass Maron Jahr des Mauerfalls und Tag der Vereinigung irrtümlich kombinierte, ist verständlich, solche Kleinigkeiten passieren jedem ständig. Dem Lektor hätte es aber auffallen müssen.

Der Titel des Bändchens erscheint klug gewählt. Maron ist nach konventionellen Maßstäben eine "Quer"-Denkerin, und wie bei Johnson werden sich ihre mutigen, unbestechlichen Urteile als richtig herausstellen. Insofern ist das "quer über die Gleise" nicht der falsche, sondern der richtige Weg. Würden ihn alle gehen, dann könnte man die Gleise verlegen. In die richtige Richtung.

Titelbild

Monika Maron: Quer über die Gleise. Artikel, Essays, Zwischenrufe.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
160 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3100488156

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