Von einer Welt im Umbruch

Walter Gronds Roman "Old Danube House"

Von Brigitte RubanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Brigitte Ruban

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In seiner Essaysammlung "Der Erzähler und der Cyberspace" beschäftigt sich der österreichische Autor Walter Grond kulturwissenschaftlich mit dem Medium Internet und beschreibt all die neuen Wege, die sich damit sowohl dem Autor als auch dem Leser eröffnen. Sein neuer Roman "Old Danube House" beschäftigt sich nun literarisch mit dem "Cyberspace" und der Internet-Generation, bietet aber eine Fülle von anderen Themen und Genres.

Wien, Moskau und Sarajevo - diese drei Städte sind mit dem Protagonisten Johann Nichol, 42 Jahre alt, Professor für theoretische Physik an der Technischen Universität in Wien verbunden. Eigentlich könnte sein Leben nicht besser sein, mit einer unwiderstehlichen Frau, Marina, verheiratet, beliebt bei Studenten und Kollegen, eine Anzahl von Hobbies, ja, wenn da nicht noch etwas fehlen würde. Hier setzt auch das eigentliche Thema des Romans an: die Menschen des ausgehenden 20. Jahrhunderts sind orientierungslos, suchen in einer Zeit nach dem Sinn des Lebens, die vom Umbruch geprägt ist, wo alles Vertraute plötzlich fremd erscheint. Jeder versucht dem auf andere Weise zu begegnen. Nichols Studenten etwa - angelegt in der Figur des Computerfreaks Hofer - "erschaffen" sich mithilfe der Technik und des Internets eine neue Welt, die "Linux-Welt"; Nichols Kollege Stadler ist den alten Konventionen verpflichtet und findet sein Heil in der Welt der Männerbünde; Marina versucht ihre Wurzeln bei einem "Schamanen" in Ägypten zu finden und Nichol macht sich auf die Spur des Physikers Nikola Sahli, der sich, nachdem sein physikalisches Weltbild zerbrochen ist, umgebracht hat: "Sahli hatte in der modernen Physik eine durchorganisierte Verschwörung gegen die Gesetze der Natur erkennen wollen und mit einem Gedankenexperiment zu beweisen versucht, daß der Energiesatz falsch und es daher möglich sei, ein Perpetuum mobile zu bauen". Diese Suche, dem der Hauptteil des Romans gewidmet ist, führt ihn nicht nur nach Sarajevo, sondern auch auf Abwege, nämlich in Verbindung mit einer Sekte, der auch Sahli angehört hat.

Drumherum sieht man Menschen ohne Heimat bzw. mit einer neuen Heimat, die versuchen in der Welt Fuß zu fassen - manche schaffen es, manche nicht.

Im Nachkriegs-Sarajevo lernt Nichol die Schwester Sahlis kennen und lieben. Dort besucht er auch das Old Danube House, in dem der verstorbene Physiker gewohnt hat und das - wie so vieles - den Krieg nicht unbeschädigt überstanden hat. Die Geschichte um dieses Haus ist folgende: "Der Urgroßvater, ein serbischer Bauer in der damals österreichischen Krajina, war während seiner Militärzeit in Wien und liebte ein serbisches Mädchen, sie war Mädchen im Haus eines Offiziers. Er hat sie geschwängert in den Auen der Alten Donau. Als der Offizier nach Sarajevo versetzt wurde, nahm er das Mädchen mit, sie war auch seine Geliebte, und (der) Großvater, der in Sarajevo zur Welt kam, war Abkömmling eines Österreichers oder vielleicht ein doppelter Serbe, ist egal. Er wurde ein kleiner Kaufmann und taufte sein Haus Kuca Stari Dunav, Altes Donau Haus eben. So er erinnerte an Ort, wo er gezeugt wurde, aber dachte auch an alte Zeit, an große Donaumonarchie, wo viele Völker lebten zusammen." Als die Frau Nichols überraschend nach Sarajevo kommt, ist die Affäre beendet, sie unternehmen eine Bootsfahrt, stranden bei einem Unwetter an einer Felsenküste und können sich mithilfe eines Satellitennavigators retten - die moderne Technik fungiert also doch zu guter letzt als Rettungsanker.

Walter Gronds Roman ist abwechslungsreich, vielschichtig und äußerst konzentriert, vor allem seine Städtebilder sind gelungen - mittels eines Austausches von Emails zwischen Nichol und seiner russischer Ex-Geliebten wird die Atmosphäre des vor- und nach kommunistischen Moskaus evoziert. Auch fehlt Grond niemals der Blick für das Wesentliche, so daß man doch zu dem Schluss kommen muss: Unsere Welt ist doch die beste aller Welten.

Titelbild

Walter Grond: Old Danube House.
Haymon Verlag, Innsbruck 2000.
304 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3852183359

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