Reisen als Passion und Profession

Cees Nootebooms Aufzeichnungen "Nootebooms Hotel"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Deutschland erfreut sich Cees Nooteboom ausgesprochen großer Beliebtheit. Vor rund zehn Jahren setzte - wohl nicht zuletzt ausgelöst durch Marcel Reich-Ranickis lobenden TV-Stoßseufzer ("Dass die Niederländer so einen Schriftsteller haben.") - ein wahrer Nooteboom-Boom ein. In Holland hingegen steht man dem Autor äußerst distanziert gegenüber. Die Tageszeitung "Volkskrant" schrieb, dass es bezeichnend für die deutsche Orientierungslosigkeit sei, dass Nooteboom hierzulande alljährlich zum Kreis der Nobelpreiskandidaten gezählt werde.

Sein renommierter Schriftstellerkollege Harry Mulisch befand gar, dass er nur in Deutschland etwas gelte und in den Niederlanden mit seinen deutschen Verkaufszahlen geworben würde. Was so nicht stimmt, denn auch in den USA stoßen Nootebooms Werke auf ein durchweg positives Echo. Die "New York Times" stellte ihn beispielsweise auf eine Stufe mit Nabokov und Calvino.

Dass Nooteboom in seiner Heimat auf eine vergleichsweise nur geringe Resonanz stößt, liegt vermutlich darin begründet, dass der Autor am allerwenigsten ein typisch niederländischer Schriftsteller ist und durch seine schon in jungen Jahren ausgeprägte Reiselust eher als literarischer Kosmopolit gilt. Schon im Teenager-Alter trampte er nach Belgien. Was dann folgte, war eine unendliche Reise.

Trotz seiner großen internationalen Erfolge leidet Nooteboom an der weitgehenden Ignoranz seiner Landsleute: "Ich bin und bleibe ein niederländischer Schriftsteller, der auch im eigenen Sprachraum gewürdigt werden will."

Mit dem neuen Sammelband "Nootebooms Hotel" wird der 67-jährige Schriftsteller diesem Ziel kaum näher kommen. In dem Band, der Essays, Reflexionen und Reiseberichte aus den letzten 30 Jahren versammelt, spielt sein Heimatland nur eine marginale Rolle, was das niederländische Lesepublikum wohl wieder als Kränkung empfinden könnte.

Dabei dürfen die niederländischen Leser für sich in Anspruch nehmen, dem Romancier Nooteboom in den literarischen Sattel geholfen zu haben. Viele Jahre lebte der Autor von seinen exzellenten Reiseberichten und betrieb die literarische Arbeit nur nebenher. Der Redakteur einer Zeitschrift, der Nooteboom immer wieder zu neuen Reisen animierte und die daraus entstandenen Artikel gut honorierte, dürfte aus heutiger Sicht nicht nur großen Anteil an wichtigen Texten des neuen Bandes, sondern auch an der "Geburt" des großen Romanciers haben, der durch seine Reiseberichte die notwendige finanzielle Unabhängigkeit erlangte.

Die frühen Arbeiten Nootebooms, die uns nach Mali, Gambia, Bolivien und Mexiko führen, sind noch von einem streng deskriptiven Charakter geprägt und stark zielgruppenorientiert verfasst. Im Laufe der Jahre hat Nooteboom nicht mehr den Orten, sondern den Menschen und seinen eigenen, höchst subjektiven Eindrücken Priorität eingeräumt.

Die jüngeren Reiseberichte wirken auf den Leser wie Oasen der Ruhe, wie schriftstellerische Meditationsübungen an fremden Orten. In der Reisebewegung steckt bei Nooteboom immer der Wunsch nach Horizonterweiterung und besinnlicher Selbstbefragung: "In der Zukunft werde ich all meine Koffer öffnen, um zu sehen, wer ich war."

Für Nooteboom sind Reisen und Schreiben und darüber hinaus auch die Beschäftigung mit anderen Autoren und darstellender Kunst fundamentale Lebensbausteine. So lesen sich seine aufgezeichneten Begegnungen mit Ingmar Bergman, Federico Fellini, Umberto Eco, Bruce Chatwin und Zbigniew Herbert schon äußerst spannend, doch alles in den Schatten stellen seine essayistischen Betrachtungen über Uwe Johnsons "Jahrestage". "Nie hatte ich so intim in Deutschland gelebt wie in diesem Buch", fasst Nooteboom, der - von der Lektüre beeindruckt - Johnsons letzten Wohnort aufsuchte, seine Eindrücke zusammen.

In den vorliegenden Texten kehrt der Autor sein Innerstes nach Außen, gewährt Einblicke in sein Seelenleben, ohne dabei in selbstverliebte Geschwätzigkeit zu verfallen. Oft sind es nur Momentaufnahmen von Photographien, Kunstwerken oder Landschaften, die einen wasserfallartigen Assoziationsstrom auslösen.

Während sich die epische Langatmigkeit in Nootebooms Romanen oft als Hindernis erweist, ist der sich wild ausbreitende Gedankenfluss in diesen formlosen Texten eine Bereicherung, denn nie war man dem Autor Cees Nooteboom näher als in diesem Sammelband.

Reisen sind stets auch Suchbewegungen. Bleibt zu hoffen, dass sich Nooteboom noch oft auf die Suche nach unerkundeten Orten begibt, denn als Leser folgt man diesem Autor ohne Vorbehalte bis ans Ende der Welt.

Titelbild

Cees Nooteboom: Nootebooms Hotel. Roman.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
521 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3518411608

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