"I am an American citizen": Thomas Mann und die Unmöglichkeit einer Rückkehr

Eine Umfrage als Stimmungsbarometer

Von Daniel LinkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Linke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1947 versuchte die amerikanische Militärregierung in Bayern anhand einer Umfrage in fünf verschiedenen Städten (Würzburg, Augsburg, München, Nürnberg, Regensburg) auszuloten, wie auf eine mögliche Rückkehr von prominenten Exilanten auf verantwortungsvolle Positionen reagiert werden würde. Zahlreiche Vertreter des damaligen öffentlichen Lebens mußten einen Fragebogen ausfüllen. Das Ergebnis war durchwachsen, in bezug auf Thomas Mann selten positiv. Das hing maßgeblich mit einer von Miß- und Unverständnis geprägten Debatte zusammen, die ihren Keim im Jahre 1945 hatte. Kein halbes Jahr nach der Kapitulation Deutschlands richtete Walter von Molo in einem öffentlichen Brief an Thomas Mann die Bitte, dieser möge doch als "guter Arzt" dem deutschen Volk beim Wiederaufbau moralisch mit "Rat und Tat" zur Seite stehen. Der Gebetene zögerte sein Antwortschreiben lange zwei Monate hinaus, und als er zu einer Beantwortung ansetzte, waren die Fronten durch eine schmerzvolle Auseinandersetzung über den Wert von innerer und äußerer Emigration unüberwindbar geworden.

Frank Thiess hatte es für nötig befunden, Walter von Molos Forderung mit seinem Artikel "Die innere Emigration" unterstützen zu müssen, allein sein Ziel war ein anderes; ihm ging es um eine Rechtfertigung der "inneren Emigration". Ihr und damit zugleich auch sich selbst räumte er eine höhere moralische Integrität ein, ein neues Deutschland gestaltend zu vertreten. Zwar plädierte Thiess fadenscheinig für den Zusammenschluß aller "geistigen Menschen, die den Nationalsozialismus von innen und außen" bekämpft hatten zum Wohle des neuen Deutschlands, doch den inneren Emigranten bescheinigte er ein höheres Maß an Verständnis für die Befindlichkeiten der Deutschen, als all denjenigen, die die "deutsche Tragödie" von den "Logen und Parterreplätzen" des Auslands beobachtet hatten. Die unsäglichen Nöte, das "Herzasthma des Exils" wie es Thomas Mann später in seinem Antwortbrief benennt, waren weniger wert.

Mit diesem Artikel und der sich anschließenden Debatte war die öffentliche Atmosphäre vergiftet, eine unvoreingenommene Rückkehr vieler Exilanten fast unmöglich. Thomas Mann entschloß sich, nach innerer Auseinandersetzung (seine Tagebücher der Zeit zeugen davon) und eingehenden Beratungen mit seiner Tochter Erika zu dem ablehnenden Antwortschreiben. Dieser offene "Brief an Deutschland" ist auch heute noch ein fesselndes Stück Literatur- und Zeitgeschichte. Nach einer feinsinnigen Für- und Wider-Argumentation bilanziert er, daß Deutschland ihm in "all diesen Jahren doch recht fremd geworden" sei. Ein "Kehre zurück, alles ist vergeben" käme schweren Herzens für ihn nicht in Frage. Sein Verhältnis zu Deutschland blieb bis zu seinem Tod widersprüchlich. Daß er auf einer Europareise 1947 Deutschland nicht besuchte, drückte symbolisch seine Unsicherheit und das gesamte Mißtrauen beider Seiten aus. In seiner Not fühlte er sich als "an American citizen". Damit verlor er in den Augen vieler den Anspruch, sich zu Deutschland äußern und in verantwortungsvoller Position zurückkehren zu dürfen.

Die erstmals in diesem Buch veröffentlichten Umfragedokumente aus amerikanischen Archiven, spiegeln die in der Folge der Debatte entstandenen Ressentiments gegenüber Thomas Mann wider. Manche Stellungnahmen schließen sich direkt an Frank Thiess an, Abwehrmechanismen werden deutlich, Unangenehmes und Belehrendes möchte man schon zu dieser Zeit nicht hören. So heißt es in einer der Antworten selbstgerecht: "Eine Kritik über sein Heimatland zu üben kann nur der, der in der schlimmsten Zeit dort gelebt hat"; stattdessen wird Verständnis von den Emigranten für die Situation der Deutschen gefordert, ein umgekehrtes Verhalten scheint unangebracht. Gerngesehen sind lediglich diejenigen, die sich noch wirklich mit dem deutschen Volk verbunden fühlen. Privilegien wollen nur wenige den Heimkehrenden einräumen. Über Thomas Mann wird heftig gerichtet, es sei besser, wenn dieser sich nur noch schriftstellerisch betätige und keine "Reden weltpolitischer Art" hielte. Boshaft ist ein Dramaturg und Spielleiter aus Augsburg, wenn er verfügt: "Im Falle Thomas Mann wäre es vielleicht besser er bleibt in Amerika, aber dabei sollte man ihm auch diese Spaziergänge in die Schweiz etwas unterbinden. Thomas Mann ist ein alter Mann und für ihn, besser gesagt für Deutschland, wäre es nach seinen heutigen Anschauungen besser er bliebe auf seinem Landhaus als Privatier." Erich Kästner hätte Thomas Mann gerne - zumindest für einen Besuch - in Deutschland, doch zunächst müßten wohl eine Reihe von Vorkehrungen stattfinden, so z.B. polemische Artikel zu dessen Person eingestellt werden, denn Mann glaube offensichtlich, er würde nach seiner Ankunft "sofort erschlagen".

Jost Hermand und Wigand Lange gewähren mit dieser Dokumentensammlung einen wichtigen zeitgeschichtlichen Einblick in die Stimmungslage stellvertretender Deutscher gegenüber emigrierten Intellektuellen. Sie erklärt indirekt, warum viele bevorzugt in die DDR gingen, manche es in der Bundesrepublik nicht aushielten (Döblin), viele an eine Rückkehr nicht denken mochten. Alfred Polgars bedrückender Satz "Die Fremde ist nicht Heimat geworden. Aber die Heimat Fremde" findet in den hier abgedruckten Umfrageantworten seine klimatische Bestätigung.

Ärgerlich ist an manchen Stellen leider die Kommentierung der Dokumente. Von vornherein auf biographische Hinweise zu den im Text genannten Personen beschränkt, werden dem Leser manches Mal die Sterbedaten ohne Begründung vorenthalten; dem Schriftsteller Hermann Broch wird eine biographische Kommentierung gänzlich verweigert, und die graphische Anordnung der Kommentare seitlich der Texte, sorgt nicht für die erhoffte Übersichtlichkeit, sondern erfordert bei längeren Ausführungen ein unnötiges Geblätter. Unkommentiert bleibt die Tatsache, daß Thomas Mann bei der amerikanischen Regierung offensichtlich als in München gebürtig angesehen wurde, was zumindest eine mögliche Erklärung bieten würde, weshalb die Umfrage auf Bayern beschränkt blieb. Leider liefert hierzu das ansonsten höchst informative Vorwort von Jost Hermand keine Auskunft.

Titelbild

Wigand Lange / Jost Hermand: Wollt ihr Thomas Mann wiederhaben? Deutschland und die Emigranten.
Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1999.
250 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3434504419

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