Die Sprache des Acheron

Pablo De Santis schreibt den Roman, nach dem Eco immer gesucht hat

Von Robert HabeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Robert Habeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Puerto Esfinge ist ein windzerzaustes Kaff am südlichen Ende Argentiniens. Im Wesentlichen besteht es aus einigen Häusern, toten Robben, einem verfallenden Leuchtturm und einem Hotel, von dem nur die untersten drei Geschosse einer Hälfte fertig gestellt wurden. An diesem unwirtlichen Ort findet ein Übersetzerkongress statt, an dem auch Miguel De Blast teilnimmt. Er trifft dort seine Jugendliebe Ana wieder und auch Naum, den Mann, der sie ihm damals abspenstig gemacht hatte. Sie alle sind Übersetzer. Übersetzungen sind für sie mehr, als einen Text vom Französischen ins Spanische zu hieven. Ana hält einen Vortrag über ein posthum erschienenes Buch Nietzsches, "Meine Schwester und ich", dessen Original verloren gegangen ist und nur noch auf englisch vorliegt. Dabei widerlegt sie den Verdacht, dass es sich um eine Fälschung handelt, und spielt die Möglichkeit durch, den Text aus dem Englischen in Nietzsches originales Deutsch rückzuübersetzen. Naum widmet seinen Vortrag dem Schweigen als Grundstein eines absoluten Sprachsystems. "Das wahre Problem für einen Übersetzer ist nicht die Distanz zwischen den Sprachen oder zwischen den Welten, ist nicht Jargon oder Ungenauigkeit oder Musikalität; das wahre Problem ist das Schweigen einer Sprache - denn alles andere ist übersetzbar, nicht aber die Art, in der ein Werk schweigt; für dieses Schweigen gibt es keine mögliche Übersetzung."

Das Feuerwerk an Einfällen, Ideen und Gedankenspielen, das De Santis abbrennt, wird nach dem ersten Drittel des Buches auf ein Thema fokussiert: Gibt es die universale, göttliche Sprache, die vor Babel galt, in der alles verstanden und gesagt werden kann? Kaum ist die Frage formuliert, setzt eine Serie geheimnisvoller Todesfälle ein, und De Blast macht sich an die Aufklärung. Und was er am Ende entdeckt, ist größer und mächtiger, als dass man es einfach aussprechen könnte.

Ein Krimi um die Sprache, um eine aussichtslose Liebesgeschichte als zweiten Handlungsbogen, die Suche nach der vollkommenen Sprache - man ist stark an Umberto Ecos "Name der Rose" erinnert. Geheimbündlerische Umtriebe, irrwitzige Verschwörungen zugunsten eines sakralen Wissens - wird so ein Buch vorgestellt, fällt uns gleich Ecos "Das Foucaultsche Pendel" ein. Aber bei De Santis ist alles anders als bei Eco. Eine Geschichte der Sprachphilosophie, einen Krimi im Genre des film noir, eine melancholische Liebesgeschichte, das alles erzählt De Santis auf weniger als hundertfünfzig kleinformatigen Seiten. Es gelingt ihm so vorzüglich, weil er es versteht, mit wenigen Strichen komplexe Gefüge aufzuzeigen. De Santis schreibt - auch in der hervorragenden Übersetzung von Gisbert Haefs - voll Witz, Poesie und Ironie, doch immer wohltuend zurückgenommen, immer im Dienst der Geschichte. Wo man sich bei Eco durch aufgehäuftes Bildungswissen kämpft, zieht einen die Kraft von De Santis' Sprache wie selbstverständlich von Kapitel zu Kapitel.

Eines der kleineren Bravourstücke der Erzählung ist die Kunst der subtilen Andeutungen, mit denen De Santis die Atmosphäre kafkaesk verdichtet und ihr gleichzeitig einen doppelten Boden gibt. Das unfertige Hotel gemahnt an den Turm zu Babel, die seehundgespickten Algenauswürfe am Strand erinnern an die Zeichen der Apokalypse. Die Toten haben unter ihrer Zunge eine alte Münze, die, wie die griechische Sage berichtet, dem Fährmann Charon als Lohn dient, damit er die Verstorbenen über den Fluss Acheron in die Totenwelt übersetzt. Porto Esfinge ist eingedeutscht der "Hafen der Sphinx". Die Sphinx ist jener göttliche Totenwächter aus Ägypten, der von Ödipus überwunden wurde, weil er in dem Rätsel der Sphinx die Frage nach dem Menschen erkannte. Mit dieser Frage verliert in der Bibel der Mensch seine Unschuld und wird aus dem Paradies vertrieben. Er wird sterblich. Damit korrespondiert eines der Gerüchte, das auf dem Übersetzerkongress herumspukt. Die Ursprache, die Sprache des Acheron, deren Suche ihre Opfer fordert, verleiht die Gabe, den Tod zu überwinden und die Übersetzung ins Totenreich rückgängig zu machen, den Text in beide Richtungen zu lesen.

Die große Leistung De Santis' besteht darin, wie er die Informationen einführt. Die szenische Bauart seines Romans erlaubt es ihm, sich in die Handlung ein- und auszublenden, wie es dem Spannungsbogen am dienlichsten ist. Auch seinen Helden De Blast hält der Autor auf Abstand. Und so bleiben dem Lesenden die Gedanken und Folgerungen de Blasts verborgen. Man folgt ihm blind in die Zwischen- und Unterwelten dieser Erzählung. Wenn man innehält, zurückblickt und nochmals liest, stockt einem der Atem. Wie konnte man so gutgläubig annehmen, dass die Dinge so sind, wie man sagt. Besser gebaut und intellektuell unterhaltsamer kann Literatur kaum sein.

Titelbild

Pablo De Santis: Die Übersetzung.
Übersetzt aus dem Spanischen von Gisbert v. Haefs.
Unionsverlag, Zürich 2000.
156 Seiten, 13,30 EUR.
ISBN-10: 3293002722

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