Lorbeer im Häcksler

Klaus Thiele-Dohrmanns mehr schlecht als recht geschriebene Kulturgeschichte des Ruhmes

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist eine abgedroschene Weisheit, dass sich der Buchautor ein Denkmal setzen will und dass er gegen das Vergessen ankämpft. Früher mochte der Wunsch nach Unsterblichkeit noch in einigen Fällen Wirklichkeit werden, heute sind diese Mühen zumeist vergeblich. Die Hinterlassenschaften von Legionen echter und eingebildeter Schriftsteller verstauben in Archiven und Bibliotheken, wobei die allermeisten ihrer Beisetzung auf dem großen Friedhof der kleineren Geister gelassen entgegen blicken können. Dies hält die als Verlage getarnten Druckereien freilich nicht davon ab, ihr ruhmsüchtiges Klientel immer weiter zum Schreiben zu ermuntern. Das Geschäft mit den Dichtern und Denkern von eigenen Gnaden boomt wie nie zuvor.

Was den Einzelnen zur Erlangung von Ruhm und Ehre antreibt, darüber erfahren wir in Klaus Thiele-Dohrmanns Buch "Ruhm und Unsterblichkeit" leider herzlich wenig. Allenfalls das Beispiel des Kreml-Piloten Mathias Rust, der sich nach seiner Freilassung aus dem Moskauer Gefängnis einer achtzehnjährigen Schwesternschülerin mittels höchst stichhaltiger Argumente näherte, lässt die ehrgeizig betriebene Suche nach Aufmerksamkeit psychologisch erklärbar werden: als narzisstische Persönlichkeitsstörung. Warum misslingt dem Autor der Überblick über die Bewertung des Ruhmes antiker Heerführer und mittelalterlicher Dichter, des Ansehens von Sportlern, Filmgrößen und Pop-Musikern der Gegenwart?

In der Antike rückt der Ruhm den Menschen in die Nähe der Götter und verbindet sich mit sittlicher Bonität. Bei Aristoteles verschiebt sich die Heldentugend in Richtung auf eine objektive Funktion der Gemeinschaft. Das ist die Geburt der Ehre. Cicero schließlich exponiert den Ruhm als exemplum. Danach regeln nicht etwa sittliche Imperative das Handeln, sondern die als vorbildlich empfundenen Taten bestimmter Menschen. Außergewöhnliche Leistungen auf militärischem oder künstlerischem Gebiet werden durch äußere Zeichen wie Triumphbögen, den Statuen oder andere Ehrungen gewürdigt, in Apotheosen wird eine Person symbolisch vergöttlicht.

Bis zu diesem Punkt ist gegen die Argumentation Thiele-Dohrmanns kaum etwas einzuwenden. Nicht mehr kulturgeschichtlich zu verklammern hingegen sind die Vernichtung der römischen Stadt Ephesos "aus Geltungsdrang", die Zerstörung der Goldenen Halle 1950 in Kioto und die Biographie des krankhaft selbstsüchtigen Schriftstellers Yukoio Mishima. Trotzdem werden diese Beispiele in einem Atemzug genannt, als repräsentierten sie identische Grunddispositionen. Thiele-Dohrmann verkennt, dass es sich bei dem Streben nach Ruhm und Anerkennung um hinsichtlich ihres historischen Standortes völlig unterschiedliche Bewusstseinstatsachen handelt. Deren Beschaffenheit kann auch in Fällen, wo sie zu Trägern sozialer Funktionen und damit unmittelbar sichtbar werden, nicht anders als mentalitätsgeschichtlich erwiesen werden.

Dazu aber fehlt Thiele-Dohrmann das nötige methodologische Handwerkszeug und der kulturgeschichtliche Background. Ebenso wenig gelingt es ihm, das versatzstückhaft montierte Faktenwissen für die Formulierung komplexer Synthesen oder die Beschreibung einer allgemeinen Entwicklung fruchtbar zu machen. Statt dessen haben wir uns mit dürren Auskünften zu bescheiden. Von der Art etwa, dass der Mensch im frühen Christentum wegen der Vordringlichkeit Gottes durch eigene Anstrengung keinen Ruhm mehr erwerben konnte. Von erschütternder Hilflosigkeit im Umgang mit einem Thema, das dem Verfasser gleich um mehrere Kragenweiten zu groß ist, zeugen insbesondere die zitatenlastigen und vom Ruhepolster der Sekundärliteratur gestützten letzten beiden Kapitel.

In der Gegenwart, argwöhnt der Verfasser, sei die Vergöttlichung von der Vergötterung abgelöst. Der jeder Transzendenz entkleidete Ruhm werde von Mensch zu Mensch weitergereicht. Paradoxerweise gehören heute gerade sozial unerwünschte Eigenschaften wie Ehrgeiz, Geltungsdrang und Eitelkeit zum Persönlichkeitsprofil berühmter Zeitgenossen. Dass das Karussell von Prominenz und Nichtbeachtung, in dem der Ruhm seinen Glanz verliert und nicht länger als Erinnerungsspur existent ist, etwas mit unserer medial geschulten Wahrnehmung oder einer Neudefinition des Leistungsbegriffes zu tun haben könnte, kommt Thiele-Dohrmann freilich nicht in den Sinn.

Hinzu kommt, dass das Buch hinsichtlich der vorgestellten Epochen mehr als unausgewogen ist. Während Thiele-Dohrmann für das Mittelalter noch zahlreiche Beispiele für sein Thema zu nennen weiß, z. B. die Minnekultur, ritterlichen Kampfesmut oder die Schriften Christine de Pisans, werden Klassik, Romantik und Aufklärung mit stiefmütterlicher Flüchtigkeit behandelt. Dabei hätten sich gerade für das 18. Jahrhundert zahlreiche Anhaltspunkte vor allem für eine Kritik von Ruhm und Ansehen finden lassen. Man denke nur an Rousseaus zivilisationsgeschichtliche Erklärung der Selbstsucht (amour-propre) durch den Vergesellschaftungsprozeß: "Sein und Scheinen wurden zwei völlig verschiedene Dinge."

Bei all dem ist es schwerlich vorstellbar, dass Thiele-Dohrmanns Elaborat jemals Eingang in die Walhalla finden wird. Vielmehr wird sich jene Auslöscherin seiner annehmen, der Harald Weinrich in seinem Buch "Lethe" huldigt: die Kunst des Vergessens.

Titelbild

Klaus Thiele-Dohrmann: Ruhm und Unsterblichkeit. Ein Menscheitstraum von der Antike bis heute.
Verlag Hermann Böhlaus Nachf. Weimar, Weimar 2000.
272 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3740011068

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