Wie man einen Roman macht

Miguel de Unamunos Essay erstmals in deutscher Sprache

Von Dorothea StresingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dorothea Stresing

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Jahr 1927 lebt der 63-jährige Miguel de Unamuno im freiwilligen Exil in den französischen Pyrenäen. Er kann von seinem Aufenthaltsort auf die Berge des spanischen Baskenlandes blicken, aus dem er stammt. Nachdem das Regime des präfaschistischen Militärdiktators Primo de Rivera ihn 1924 auf die Insel Fuerteventura verbannt, bald darauf aber begnadigt hat, ist der Griechischprofessor und Rektor der Universität von Salamanca nicht in sein Heimatland zurückgekehrt, sondern ist zunächst nach Paris, später in das kleine Bergdorf Hendaye gezogen.

An diesem Ort nimmt er die Arbeit an einer zwei Jahre zuvor entstandenen Schrift wieder auf, die zunächst auf Französisch erschienen ist und nun, in einer Rückübersetzung von Hand des Autors, in Buenos Aires auf Spanisch herauskommen soll. Der Text, den der Leser nun in der beim Literaturverlag Droschl erschienenen deutschen Erstausgabe nachlesen kann, trägt die Spuren seiner Entstehungsgeschichte. Er trägt sie souverän; Unamuno versteht es, mit den Entstehungsebenen seines Textes zu spielen, die äußeren Umstände in den Text selbst mit einzubeziehen. Jean Cassous Autorenporträt zur französischen Erstausgabe von 1925, der Kommentar Unamunos von 1927 und der Essay-Korpus mit seinen zahlreichen Einschüben, der letztlich, entsprechend der Suche des Autors nach einer möglichst großen Annäherung von Literatur und Leben, in eine Tagebuchform übergeht - all diese Textformen vermischen sich zu einem Text, der in vielerlei Hinsicht wie eine Vorwegnahme postmoderner Schreibweisen wirkt. Nicht aber eine postmoderne Beliebigkeit von Inhalten ist Unamunos Thema; die Form des Textes spiegelt seine Überzeugung wider, dass jeder Text ein Teil der (Auto-)Biographie seines Autors ist.

Der Titel des Essays lautet "Wie man einen Roman macht"; die Schrift erhebt jedoch einen Anspruch, der weit über eine Anleitung zum Verfassen von Romanen hinausgeht. Er will "meine Geschichte, mein Spanien erschaffen, und mit ihm mein Universum und meine Ewigkeit". Unamuno nimmt seine selbstgewählte Exilsituation zum Anlass, die Frage nach der Verbannung des Menschen aus seiner Heimat um die Frage nach der Verbannung des Menschen aus der Ewigkeit und deren Überwindung zu erweitern.

Mit Augustinus stellt er fest: "Mihi quaestio factus sum", in Unamunos Übersetzung: "Ich bin mir selbst zum Problem geworden". Und er folgert daraus: "Und ich bin Problem, Fragestellung, Projekt meiner selbst geworden. Wie kann man das lösen? Indem man aus dem Projekt ein Trajekt macht, aus dem Problem ein Metaproblem; indem man kämpft." Und er nimmt den Kampf auf: gegen den Diktator Primo de Rivera, den er als "Zuhälter" bezeichnet, "der fast täglich den Auswurf seiner Vollräusche auf Spaniens Schoß kotzt". Auch gegen die spanischen Intellektuellen. Er zürnt denjenigen, die dem Dichter Góngora eine Hommage darbringen, dessen Ziel es ihrer Meinung nach gewesen sei, "eine schöne Sprache zu erfinden". Für Unamuno ist diese ästhetizistische Góngora-Verehrung ein "kriecherischer Akt", mit dem der Tyrannenherrschaft in Spanien gehuldigt werden soll.

Seine Literatur ist alles andere als ästhetizistisch; er will sie als essentiell politisch verstanden wissen: "Meine Lehre, meine Forschungen, meine Romane, meine Gedichte [sind] Politik." Dass Politik bei Unamuno nicht die Tagespolitik allein bezeichnet, sondern das Zusammenleben der Menschen beschreibt, im praktischen wie im spirituellen Sinn, das beweist die spielerische Beantwortung der Frage, wie denn nun ein Roman zu schreiben sei. Unamuno führt vor, was für einen Roman er hätte schreiben können: Einen Roman über einen gewissen U. Jugo de la Raza, der in der Langeweile lebt und in Büchern nach einem Roman für sein eigenes Leben sucht. Eines Tages entdeckt er tatsächlich ein solches Buch in einem Bücherstand an der Seine. Das Buch fesselt ihn von der ersten Seite an, bis er plötzlich auf die furchtbare Enthüllung des Romanhelden stößt: "Wenn der Leser ans Ende dieser schmerzhaften Geschichte gelangt, wird er mit mir sterben." U. Jugo de la Raza versucht, dem Bann des Buches zu entkommen, verbrennt es, unternimmt eine weite Reise - nur um schließlich ein weiteres Exemplar bei einem Trödler zu finden.

Als Leser von Unamunos Essay glaubt man sich nun dem Höhepunkt und der Auflösung der Geschichte nahe. Doch der allmächtige Schöpfer-Autor verweigert den Schluss und wirft den Leser mit einem Schwung in sein eigenes Leben zurück: "Da das, was ich schreibe, werter Leser, ein wahrhafter Roman ist, ein wahrhaftes Gedicht, eine Schöpfung, und darin besteht, zu sagen, wie man einen Roman macht und nicht, wie man einen Roman erzählt, ein historisches Leben, so brauche ich dein sensationsgieriges, frivoles Interesse nicht zu befriedigen. Jeder Leser, der sich beim Lesen eines Romans darum bekümmert zu erfahren, wie seine Figuren enden werden, ohne sich darum zu bekümmern, zu erfahren, wie er selbst enden wird, verdient nicht, daß seine Neugier befriedigt wird."

In seinem radikalen Anspruch, Kunst und Leben zu verbinden, die Menschen zur Gestaltung ihres Lebens-Romans aufzurufen, erinnert der Spanier Unamuno an die Ideen des deutschen Bauhaus', von deren Vertretern etwa zur selben Zeit eine radikale "Rückführung der Kunst in Lebenspraxis" gefordert wurde. Doch nicht nur für seine eigene Zeit haben die Schriften Unamunos Bedeutung; in ihrer profunden Reflexion über das Wesen des Menschen und der Literatur sind sie auch für heutige Leser noch hochaktuell. Für das deutsche Publikum, dem Miguel de Unamuno vor allem durch seinen Roman "Nebel" bekannt sein dürfte, bedeutet die Übersetzung des Essays eine erfreuliche Möglichkeit, mehr von einem der großen spanischen Denker des 20. Jahrhunderts zu erfahren. Und so weisen seine eigenen Sätze über die Person Miguel de Unamuno hinaus: "Warum oder wozu macht man einen Roman? Um den Leser zu machen, um sich eins zu machen mit dem Leser. Und nur, indem der Romanschreiber und der Leser des Romans eins werden, aktualisieren sie sich, und indem sie sich aktualisieren, verewigen sie sich."

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Miguel de Unamuno: Wie man einen Roman macht. Essay.
Übersetzt aus dem Spanischen von Erna Pfeiffer.
Literaturverlag Droschl, Graz 2000.
140 Seiten, 11,20 EUR.
ISBN-10: 3854205457

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