Haarige Zeiten

Die wahre Geschichte von "Beethovens Locke", erzählt von Russel Martin

Von Bernd ChristmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernd Christmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachdem Ludwig van Beethoven 1827 in Wien nach langem Siechtum dahingeschieden war, gelang es dem damals fünfzehnjährigen Ferdinand Hiller, einem Schüler des Beethoven-Freundes Johann Nepomuk Hummel, eine Locke vom Haupte des Komponisten zu entfernen und als Andenken an den für ihn sehr eindrücklichen Moment mitzunehmen.

1994 wird besagte Locke nun im Londoner Auktionshaus Sotheby´s von zwei amerikanischen Beethoven-Fans ersteigert.

Der mysteriöse Weg der exakt 582 Haare durch zwei Jahrhunderte und mehrere Länder wird nun von dem Reporter Russel Martin auf knapp 300 Seiten aufgearbeitet.

Das Ganze klingt an sich gar nicht mal unspannend, ist aber von der ersten bis zur letzten Seite katastrophal umgesetzt. Martin hat ein Buch irgendwo zwischen Sachbuch und Kitschroman geschaffen. Und würde es schon durch die Kriterien jedes einzelnen Genres durchfallen, so ist die Melange noch viel unausstehlicher.

Für ein Sachbuch fehlt dem Buch ganz einfach jegliche wissenschaftliche Grundlage: keine Fußnoten oder Querverweise, kein Anmerkungsapparat, keine Hinweise auf Sekundärliteratur, keinerlei Angabe von Quellen. Dafür aber ein vollkommen überflüssiges Personenregister. Ohne damit die Wahrheit der Geschichte anzweifeln zu wollen, wäre es auf jeden Fall interessant zu wissen, woher Martin sein Wissen bezieht.

Als Roman ist die Geschichte einfach viel zu undramatisch, auch wenn Martin alle naslang die zeitliche Ebene wechselt und Beethovens letzte Lebensjahre Revue passieren lässt. Auf der einen Seite wird der Weg der Locke durch die Generationen der Familie Hiller dargestellt, wie sie auf verschlungenen Wegen durch jüdische Flüchtlinge an einen dänischen Arzt gelangte. Das wird mit langatmigen Schilderungen aus dem Leben der Hillers ausgeschmückt. Selbst historische Ausflüge, wie etwa die Rettung der dänischen Juden ins sichere Schweden, eine in der Tat hochdramatische Angelegenheit, geraten zur Schlaftablette.

Auf der anderen Seite werden dann die Bemühungen der beiden Amerikaner Brilliant und Guevara (der witzigerweise den Spitznamen "Che" trägt) geschildert, die Herkunft der Locke zu ergründen und durch wissenschaftliche Untersuchungen den Haaren Geheimnisse zu entlocken. Schließlich gilt es, die Ursache für Beethovens Taubheit zu ergründen, worüber die Gelehrtenwelt seit seinem Tode sich zerstritt. Und dass Haaranalysen oft Erstaunliches zu Tage fördern, wissen wir spätestens seit der Daum-Affäre. Im Falle Beethovens offenbart sich dann, dass der Komponist wohl über Jahre hinweg an einer üblen Bleivergiftung litt, die ihn letzten Endes auf sehr quälende Weise ins Grab brachte. Das ist dann auch so ziemlich der größte Knaller, mit dem Martin den Leser, der so weit vorgedrungen ist, dann aber auch nicht mehr vor dem Tiefschlaf retten kann. Er gibt ja nebenbei Kurse für "Kreatives Schreiben", und genauso liest sich dieses Buch auch. Es herrscht ein ganz seltsam gezwungener Stil vor, der regelrecht nachempfinden lässt, wie der Autor um möglichst originelle, aber dennoch nicht zu flippige Wortwahl bemüht ist. Kreativ eben.

Dies findet dann seinen Höhepunkt in der überaus schwülstigen Danksagung, an deren Ende er sich nicht scheut, eine Mitgliedschaft in der American Beethoven Society anzupreisen.

Aber dazu waren die vorangegangenen 291 Seiten dann doch zu abschreckend.

Titelbild

Russel Martin: Beethovens Locke. Eine wahre Geschichte.
Übersetzt aus dem Englischen von Inge Leipold.
Piper Verlag, München/Zürich 2000.
300 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3492042767

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