In der Tiefe der kanadischen Wälder

Harte Arbeit statt ahornzuckersüßer Idylle

Von Martin KuesterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Kuester

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In dem Künstlerroman "The Diviners" (1974) von Margaret Laurence, einem Klassiker der neueren kanadischen Literatur, ruft die Schriftstellerin und allein erziehende Mutter Morag Gunn, die hektisch versucht, ihr Privatleben, die Erziehung ihrer pubertierenden Tochter und ihre literarische Karriere in geordneten Bahnen zu halten, in ihrer Verzweiflung öfters die "Heilige" Catharine Parr Traill an, eine Schriftstellerin, die mit ihrer Familie im 19. Jahrhundert nach Kanada eingewandert war und sich dort nach anfänglichen Eingewöhnungsschwierigkeiten auch recht erfolgreich etablierte. In Werken wie den hier vorliegenden "Briefen aus den Wäldern Kanadas" warnte Parr Traill in der Folge zwar einerseits die verwöhnten Mitglieder der britischen Mittel- und Oberschicht davor, sich als Auswanderer große Illusionen über ein einfaches und viel versprechendes Leben in Kanada zu machen, andererseits zeigte sie aber in einer mitunter recht didaktischen - und von Morag Gunn als durchaus aufdringlich empfundenen - Art und Weise auch, wie man als arbeitsamer und bescheidener Einwanderer dort erfolgreich sein konnte.

Dieser von Morag Gunn als penetrant empfundene Didaktizismus Traills ist im vorliegenden Werk noch nicht ganz so stark wie in anderen ihrer Bücher, denn die "Briefe aus den Wäldern" sind in Form von achtzehn langen Briefen gehalten, in denen Traill ihrer Mutter sowie Verwandten und Freundinnen in England noch in ihrer Übersiedlungs- und Eingewöhnungsphase über die Atlantiküberfahrt nach Montreal und die Weiterreise nach Upper Canada, der heutigen Provinz Ontario, berichtet. Dort kauft sich die Familie Land, rodet es bzw. lässt es roden und richtet sich allmählich in der Wildnis ein, die nach einiger Zeit zur neuen Heimat wird. Wenn Traill, aus konservativem und traditionell gebildeten britischem Hause stammend, auch die Sinnlosigkeit oder zumindest Unzweckmäßigkeit herkömmlichen britischen Klassendenkens in der Neuen Welt erkennen muss, so verabschiedet sie sich doch nur teilweise und sehr widerwillig von ihrem Standesdünkel, sogar was ihr hart arbeitendes Hauspersonal anbelangt. Trotzdem sieht sie die Übersiedlung im Ganzen als Erfolg, und sie setzt sich in langen (und, wie sie selbst zugibt, für den Leser mitunter recht ermüdenden) präzisen Beschreibungen mit der für sie neuen Flora und Fauna auseinander, gibt dem Leser gar konkrete Anweisungen für die Zubereitung von Lebensnotwendigem wie Ahornsirup, Kerzen und Essig.

In Kanada sind die eher optimistischen Schriften Traills über das Los der britischen Auswanderer nach Kanada, wie auch die etwas skeptischeren Betrachtungen ihrer ebenfalls nach Kanada ausgewanderten Schwester Susanna Moodie, im Rahmen der Versuche der Begründung einer eigenen kanadischen literarischen Tradition in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zu kanadischen Klassikern geworden. Auch zeitgenössische Autorinnen wie Margaret Atwood und Margaret Laurence beziehen sich immer wieder auf sie. Für Leser und Literaturwissenschaftler, die sich für die Anfänge der kanadischen Literatur interessieren, ist ein Werk wie Traills "Briefe" deshalb eine unverzichtbare Grundlage, wenn auch die in manchen Briefen enthaltenen, nicht enden wollenden Auflistungen der kanadischen Botanik ab und zu an den Nerven zerren.

Bei dieser Ausgabe der "Briefe aus den Wäldern Kanadas" handelt es sich, wie der Reihentitel "reprint verlegt bei Polzer, Potsdam" andeutet, um einen Nachdruck, und zwar um den der 1989er, von Peter Meier im Ganzen flüssig und lesbar übersetzten ersten deutschen Ausgabe, die bei Reclam Leipzig erschienen war. Das Inhaltsverzeichnis dieser Reprint-Ausgabe verweist allerdings, was nicht unbedingt für eine allzu sorgsam vorgenommene Edition spricht, noch auf hier leider gar nicht mehr vorhandene Teile der Originalausgabe wie das elfseitige, auch heute eigentlich noch sehr lesenswerte Nachwort von Marianne Müller. Leider fehlen in der Neuausgabe die wichtigen, in Müllers Nachwort ursprünglich recht ausführlich gegebenen, Informationen über die kanadische Geschichte und Literatur und über den persönlichen Hintergrund der schreibenden Schwestern Susanna Moodie und Catherine Parr Traill. Zumindest in gekürzter Form oder in Form von Fußnoten hätte man sich diese Art von Information auch hier, in dieser neuen Ausgabe, gewünscht. Auch die Tatsache, dass der Titel der englischsprachigen Originalausgabe auf der Rückseite des Buchs sowie auf der Copyright-Seite als "The Blackwoods" - statt Backwoods - "of Canada" angegeben wird, verstärkt nicht unbedingt das Vertrauen des Lesers in eine kompetente Lektorierung dieses Produkts. Trotzdem ist es natürlich begrüßenswert, dass dieses wichtige Zeitdokument - wenn es auch nicht unbedingt, wie der Klappentext ebenfalls verheißt, ein "Stück Weltliteratur" ist - wieder in deutscher Übersetzung greifbar ist.

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Catherine Parr Traill: Briefe aus den Wäldern Kanadas. The Backwoods of Canada - Reprint.
Übersetzt aus dem Kanadischen von Peter Meier.
Polzer Media Group, Potsdam 2000.
256 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3934535038

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