Ein dunkles Herz, nicht nur in Afrika

Zwei neue Hörbücher mit Joseph Conrads "Herz der Finsternis"

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das Grauen! Das Grauen!" Das sind die letzten Worte des Elfenbeinhändlers Kurtz, den der gestrandete Seemann Charlie Marlow mitten in Afrika suchen soll und schließlich auch findet. Es ist eine Reise in das Innere dieses Grauens, in das Innere Afrikas, in das Herz des schwarzen Kontinents und in das Herz der Finsternis. Marlow erzählt diese Fahrt einigen Seeleuten, er erzählt, wie er immer schon fasziniert von den weißen Flecken auf den Karten war, wie er den Aufrag bekam und schließlich den nur wenig erforschten Kongo hinauffährt. "Berückend, todbringend, wie eine Schlange" windet sich der Fluss vor ihm her, Zivilisation gibt es nur in den Stationen seiner Handelsgesellschaft, aber sie alle sind korrupte "Pilger des Fortschritts", menschenverachtende Kaufleute, die sich um ihre Christenpflicht überhaupt nicht kümmern: der Profit ist ihr Gott geworden, Schwarze sind weniger wert als die Tiere.

Als Marlow endlich auf den geheimnisumwitterten Kurtz trifft, erliegt er einer geradezu übermenschlichen Faszination. Kurtz ist ein großer Mensch, groß im Denken und groß im Handeln. Er beutet seinen Distrikt brutal, rücksichtslos und ohne jegliche Furcht aus, er mordet und raubt, wie es ihm beliebt, er vergewaltigt und sieht sich als göttlichen oder teuflischen Herrscher, jedenfalls bekleidet er "einen hohen Platz unter den Teufeln des Landes". Marlow versucht, Kurtz wieder menschlich zu machen, aber es ist vergebens: Kurtz ist Idealist, er hat die Werte des kaufmännischen Christentums, die "protestantische Ethik", nur auf eine Spitze getrieben, die dem Durchschnittsmenschen pervertiert erscheinen muss, aber durchaus in der Logik des Systems liegt.

Der kleine Roman "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad beruht auf persönlichen Erfahrungen, die er 1890 auf einer Fahrt auf dem Kongo gemacht hat. Geboren 1857 als Jozef Teodor Konrad Korzeniowski im Gouvernement Kiew, im späteren Polen, wurde Conrad 1874 Seemann, 1886 britischer Staatsbürger und Kapitän und schrieb ab 1889 seine Romane. Er war entsetzt von der brutalen Ausbeutung des Kongo vor allem durch die belgische Krone, entsetzt von den Heucheleien der Missionare und dem so offensichtlichen Selbstbetrug. Das "Herz der Finsternis" ist sein Meisterwerk, gleichzeitig politisch und psychologisch zu verstehen. Denn es ist auch eine Reise in das eigene finstere Herz, in die verdunkelte Menschlichkeit. Es ist eine Reise in die Grausamkeit, die jeder Mensch machen kann, auch unser Jahrhundert bietet dafür bis heute Beispiele genug. Nicht umsonst hat der Regisseur Coppola 1979 diesen Roman (und Michael Herrs "Dispatchers") als Vorlage für seinen Vietnamfilm "Apocalypse Now" genommen.

Zwei Hörbücher sind jetzt gleichzeitig erschienen: Christian Brückner ist in der Reclam-Aufnahme nicht nur deswegen eine Idealbesetzung, weil er einer der besten Sprecher ist, sondern auch, weil er schon die erzählende Synchronstimme von Martin Sheen im Film war. So kommt es immer wieder zu Überblendungen im Kopf, so wie man unwillkürlich bei Kurtz an Marlon Brando denken muss. Aber auch die Aufnahme des kleinen, engagierten Audiobuch-Verlags in Freiburg lebt von einer Idealbesetzung. Gerd Böckmann, Schauspieler am Wiener Burgtheater, liest die Reise in das Grauen eindringlich bedächtig, noch vorsichtiger als Brückner, fast lauernd, beinahe ängstlich. Beide sprechen auf ihre Art so nachdrücklich, dass Unbekanntes und allzu Bekanntes bildhaft in Geist und Gemüt drängen.

Titelbild

Joseph Conrad: Herz der Finsternis. 5 CDs.
Reclam Verlag, Stuttgart 2000.
25,50 EUR.
ISBN-10: 3151200168

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Titelbild

Joseph Conrad: Herz der Finsternis. 4 CDs.
Verlag Audiobuch, Freiburg 2000.
39,90 EUR.
ISBN-10: 3933199255

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