Ein (zu) cooles RAF-Märchen

Leander Scholz' Romandebüt "Rosenfest"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Leander Scholz hat sich auf ein großes Wagnis eingelassen. Der 31-jährige Autor versucht in seinem Romandebüt "Rosenfest" die Liebesgeschichte zwischen den beiden RAF-Terroristen Gudrun Ensslin und Andreas Baader als Märchen zu erzählen - immer wieder versehen mit Querverweisen zu "Hänsel und Gretel". "Rosenfest" ist ein großes formales Experiment, denn die gewählte Form der "Doppelfiktion" (Roman in Märchenform) schließt eigentlich schon im Vorhinein Fragen nach der Authentizität aus. Aber nur, wenn man den Autor und sein bewusst gewähltes Mischgenre wirklich ernst nimmt.

Einem literarischen Neuling wird dieses Recht offensichtlich nicht zugestanden, denn von zweithöchstrichterlicher literaturkritischer Instanz bekam Leander Scholz einige schallende verbale Ohrfeigen verpasst. Sigrid Löffler monierte im Februar-Heft der "Literaturen", dass "die Geschichte des Gründerpärchens der Roten Armee Fraktion ganz anders" verlaufen sei. Das ist unstrittig - ebenso die Tatsache, dass Leander Scholz noch gar nicht auf der Welt war, als Benno Ohnesorg erschossen wurde. Doch die fehlende Zeitgenossenschaft des Autors (wie von Sigrid Löffler kritisiert) sollte nicht als literarisches Kriterium herhalten. Leander Scholz hat nämlich einiges zu bieten: einen bestechenden Blick für Details und ein feines Gespür für Situationskomik.

Wie in richtigen Märchen geht es auch bei Leander Scholz ziemlich brutal zu. Nach der Handlungseröffnung mit Benno Ohnesorgs Tod formiert sich um das gänzlich unromantische Liebespaar Ensslin/Baader ein gutes Dutzend gleichgesinnter Rebellen, die sich als Weltverbesserer verstehen und der Losung folgen: "Zustechen oder erstochen werden. Alles andere ist Gewäsch." Auch dies klingt bei Leander Scholz märchenhaft, denn seine Figuren reflektieren nicht, sondern entscheiden zumeist auf einer emotionalen Ebene, also "aus dem Bauch heraus". Das gesamte Personeninventar ist streng kategorisiert in 'Gut und Böse' - analog dem Vorbild "Hänsel und Gretel". Auf der einen Seite die zur Selbstheroisierung neigenden Revoluzzer, auf der anderen Seite das verhasste Bürgertum, das in der Oper Mozarts "Figaro" hört, während draußen die Ordnungshüter die Gummiknüppel schwingen.

Die vom Autor betriebene und bis zum Schluss stringent durchgehaltene Simplifizierung dieses brisanten Themas akzeptiert man als bewusst gewählten Kunstgriff. Als äußerst hinderlich für eine unvoreingenommene Rezeption erweist sich der Umstand, dass Leander Scholz es vermieden hat, seinen Figuren andere Namen mit auf den Weg zu geben. Wer Baader und Ensslin liest, tut sich schwer, den damit verbundenen realen historischen Kontext zu verdrängen und sich auf ein postromantisches Weltverbesserer-Märchen einzulassen.

Schwierig wird es bisweilen mit Leander Scholz' Sprache. Der Autor bemüht sich geradezu krampfhaft, einen 'coolen' Gestus zu finden. Doch bei aller Coolness ringt Scholz auch noch um Originalität. "Hebelwirkungen der einfachsten menschlichen Reflexe" (was immer damit gemeint ist) sollen nur Menschen beherrschen, die von ganz unten kommen, und genau bei jener Spezies frisst sich eine Theorie "insektenartig in den Körper."

Vielleicht sind es Anfängerfehler eines Autors, der sich gleich bei seinem Erstling sehr viel zugemutet hat, aber auch eine märchenhafte Geschichte lebt nun einmal von der Sprache. Trotzdem darf man gespannt sein auf die weitere Entwicklung des experimentierfreudigen Leander Scholz. Talent hat er, und darauf lässt sich aufbauen.

Titelbild

Leander Scholz: Rosenfest. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2000.
246 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3446199829

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