Wenn Wien am Nil liegt

Martin Amanshauser spielt mit Elementen des Politthrillers

Von Helmut KretzlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Kretzl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wien, Juli 2010, wenige Tage vor einer Nationalratswahl: Hitze brütet über der Stadt, "die Stadt ist zum Eierbraten", heißt das hier. Aus den Radios dröhnt der aktuelle Sommerhit: "Nasse Orangen am Nil / Ich bin dein Kroko-Krokodil / Der Nil fließt zum Riesenrad / Was wieder bewiesen hat / dass ich heut alles von dir will." Die Sonne scheint genau 15 3/4 Stunden. Richtig: wir befinden uns im jüngsten schrägen Romanuniversum von Martin Amanshauser.

Die junge Fiona Nowak, Fotografin für die Boulevardpostille "Bunter Hund", erhält den brisanten Geheimauftrag, den erfolgreichen rechten Oppositionsführer (Ulf Schneyder) in einer höchst kompromittierenden Situation abzulichten. Umfragen bescheinigen ihm die besten Chancen, den amtierenden Kanzler Bendrosch abzulösen. Doch immer mehr überstürzen sich die Ereignisse - statt Wahlen wohnen wir schließlich einer Kastration bei.

Amanshauser ist darauf bedacht, uns locker-lässig das Lebensgefühl im künftigen Jahrzehnt nahe zu bringen. Dabei geht es ihm in bester Trash-Manier mehr um das Wie als um das Was: je heißer der geschilderte Sommer, desto cooler seine Sprache. Es wimmelt von trocken-flapsigen Witzen und Witzchen, einem Markenzeichen des jungen Autors (Jahrgang 1968): "Was sich wohl abspielen wird, wenn Charlie aufwacht und seine Eier erblickt - hält er sie für Toilettenkugeln?"

Entsprechend skurril gebärdet sich das Personal: die Heldin lässt sich eine Glatze schneiden, "weil Affenschaukeln und Fun-Plaits definitiv peinlich geworden sind". Der verkrachte Chemiestudent Ignaz jobbt in einem Sexshop und betreibt vorzugsweise Wurstmeditation, der dubiose Schmalspurganove Charlie hat eine Vorliebe für Teletubbie-Masken, bis sich Fionas Schwester unter Anwendung ihrer Medizinkenntnisse für seine sexuellen Übergriffe rächt - und eine Katze namens Schmutz ein unschönes Ende an der Deckenlampe findet.

Der Blick in die "Nuller Jahre" und darüber hinaus ist nicht ohne Reiz: "Die Freie Front behauptet zwar, das rechtsextreme Erbe nach der Entpolitisierung abgeschüttelt zu haben. Doch sie ist keinen Deut liberaler als die Kronen Zeitung mit ihren bösen Männern, die auf die hundert zugehen". Die Zukunftsvision liegt erstaunlich und beängstigend nah an der heutigen Realität, das Rad der Zeit wird nur ein bisschen weitergedreht: Vera Russwurm ist Bundespräsidentin, kommuniziert wird über die Handy-Nachfolger "Phonys". Statt Piercings trägt man "Tersings", BURN hat sich "zur schlimmsten Seuche seit Aids" entwickelt. Mitunter ist Ähnlichkeit mit realen Ereignissen und Personen ausdrücklich erwünscht: Fionas Eltern sind 2002 mit der Lauda Air-Maschine "Karajan" in den Pazifik gestürzt - was ihr Gelegenheit gibt, über Fischfutter zu philosophieren und das Eltern-Schlafzimmer hinfort "Geisterstadt" zu nennen.

Martin Amanshauser bleibt in seinem neuen Buch dem unorthodoxen Stil seines Erstlingsromans "Erdnußbutter" (1998) und der Stadtkrimi-Sammlung "Im Magen einer kranken Hyäne" (1997) treu. In "Nil" spielt er respektlos mit Elementen des Politthrillers und des Science-Fiction-Romans. Den größten Reiz machen aber die Anspielungen auf heutige - und ordentlich auf die Schaufel genommene - Verhältnisse aus und wohl auch die unergründliche Komik. Dem dritten Jahrtausend wird hier endgültig jeder Nimbus genommen: in Amanshausers Vision geht alles so weiter wie bisher, nur a bisserl schlimmer und skurriler.

Titelbild

Martin Amanshauser: Nil. Roman.
Deuticke Verlag, Wien 2001.
192 Seiten, 13,80 EUR.
ISBN-10: 3216305864

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