Dissonanter Kriminaltango

Urs Richles Roman "Fado Fantastico"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es gibt Geschichten, die auf der Straße liegen. Wieder andere fliegen einem zu wie Träume." So leitet der 35-jährige Urs Richle seinen neuen Roman "Fado Fantastico" ein. Tatsächlich liest sich die Geschichte um den Protagonisten Francisco Fantastico (nomen est omen) wie eine Mischung aus Traum und Realität. Es geht um große Motive: Flucht aus der Heimat, illegales Leben im Exil, latentes Heimweh, Ausbeutung und Erniedrigung, eine diffizile Vater-Sohn-Beziehung, einen Mord oder Unglücksfall und jede Menge Lebenslügen. Schon durch die Aufnahme des Fado in den Titel seines Romans spricht Urs Richle auch von großen Gefühlen, Trauer, Musikalität ­ und Portugal. Francisco lebt seit 14 Jahren illegal in Genf. Als Schwarzarbeiter schlägt sich der aus Lissabon geflüchtete Protagonist in einer Spedition durch und pflegt lediglich Kontakt zu seinem Arbeitskollegen Jean. Irgendwann gibt es in der Firma einen Generationswechsel und Francisco wird vom Juniorchef auf fürchterliche Weise erniedrigt. Zum 20. Geburtstag seines Sohnes Antonió schreibt Francisco einen ersten Brief in die Heimat und stürzt den Sohn in ein emotionales Wechselbad. Für ihn war der Vater beim Fischen tödlich verunglückt ­ nun das Lebenszeichen aus der reichen Schweiz.

Urs Richle schickt den Sohn sofort von Lissabon nach Genf. Doch die Ernüchterung ist groß, als er den Vater in einer schäbigen Wohnung antrifft, zur Untermiete wohnend als subalterner Lakai einer steinreichen Familie. Vater und Sohn können die 14 Jahre, die sie sich nicht gesehen haben, nicht überbrücken. Ihre Dialoge bleiben erschreckend oberflächlich. Zudem baut sich durch die Erzählkonstruktion eine gehörige Distanz zwischen den Figuren auf. Denn erzählt wird die Geschichte durch einen Nachbarn, der wiederum das Gros seiner Informationen von Jean erhalten hat. So ergibt sich eine komplizierte Perspektivik, zumal Francisco und Antonió gemeinsam Erlebtes auch noch sehr unterschiedlich interpretieren. Tatsächlich mischen sich Realität und Träume ­ und das nicht zum Vorteil des Romans.

Antonió fährt mit seinem Vater zur Familie nach Portugal und wenig später wieder zurück nach Genf. Doch weder auf diesen ausgedehnten Autofahrten noch bei der Kurzvisite in der Heimat kommen sich Vater und Sohn wirklich näher. Urs Richle, der zuletzt die thrillerartig konstruierten Romane "Der weiße Chauffeur" (1996) und "Hand im Spiel" (1998) vorgelegt hatte, spitzt auch diese Geschichte, ohne Einbeziehung der zuvor entwickelten Nebenstränge, dramatisch zu. So bleibt es offen, wer die tödlichen Schüsse auf den Chef der Genfer Spedition abgegeben hat. Vater Francisco nimmt die Schuld auf sich und lässt sich widerstandslos abführen. Am Ende wechselt, inszeniert als große symbolische Geste, eine Kassette mit Fado-Interpretationen ihren Besitzer. Richles Roman aber bleibt dissonant wie jener "Kriminaltango", den Hazy Osterwald 1958 besungen hat.

Titelbild

Urs Richle: Fado Fantastico. Roman.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2001.
189 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 331200280X

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