Moderne und Antimoderne

Eine Untersuchung zum Moment des Melancholischen bei Hannah Arendt

Von Ingeborg GleichaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingeborg Gleichauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das ganze Buch über sucht man danach und ist zum Schluss genauso ratlos am Anfang: was genau macht das Melancholische bei Hannah Arendt aus? Irgendwie hängt es mit dem Bezug zu Heideggers Denken zusammen, aber bevor sich eine Klärung ergibt, hat die Autorin Seyla Benhabib dieses Kapitel bereits abgeschlossen und geht zum nächsten über. Hier liegt der Hauptgrund für die Unzufriedenheit, die sich Seite für Seite verstärkt: die Autorin nimmt Gedankenstränge auf, verfolgt sie eine Weile und belässt sie dann unausgeführt. Im Falle Heideggers ist das fatal. Wenn es wirklich so ist, dass Arendts Beschäftigung mit dem Öffentlichen nicht nur ein politisches, sondern auch ein philosophisches Projekt war, das unter anderem seinen Anfang in der Auseinandersetzung mit Heideggers Gedanken des In-der-Welt-Seins des Menschen nahm, dann muss dieses zentrale Phänomen auch wirklich in seiner ganzen Dimension erschlossen werden. Dann muss die Autorin im Bereich der Philosophie bleiben und nicht plötzlich in die Soziologie hinüberwechseln. Man weiß bei Benhabib nie so richtig, wo man sich gerade aufhält, in der Politischen Theorie, der Philosophie oder der Soziologie. So viel lässt sich sagen: Hannah Arendt ist für Benhabib eine Denkerin, die im Widerspruch steht zwischen einem Antimodernismus, der sich vor allem in ihrem Verhältnis zur griechischen Polis zeigt und einer Modernität, deren Nähe zu Walter Benjamin gekennzeichnet ist. "Schlüsselbegriffe" seien bei Arendt zweideutig, es fehle ihr an normativen Rechtfertigungen, so lautet eine These des Buches. Arendt habe keinen utopischen Zug in ihrem Werk, daher das Melancholische. Was aber, hat sie im Auge, wenn sie von Natalität spricht, wenn nicht die Zukunft?

Dass man ihr politisches Denken nur von einer normativen Position her verstehen können soll, ist völlig unverständlich. Das Gegenteil ist der Fall. Normen müssen aufgelöst werden, mit hineingenommen in das Nachdenken, das sich zwischen Ich und Ego abspielt, mit dem Ziel einer neuen Urteilsfindung. Das Festhalten an Normen ist in Arendts Augen eher Kennzeichen des "gedankenlosen" Menschen.

Ungeklärte Probleme zu Hauf. Am Ende des Buches bleibt Benhabibs Begriff des Melancholischen genauso ungeklärt wie die Vorstellung, die die Autorin von Modernität hat. Kann man nun etwas anfangen mit Arendts politischem Denken? Wo genau liegt der Bezug zwischen Philosophie und Politologie bei ihr? Ich muss gestehen, ich habe es nicht verstanden. Bei der Lektüre dieser Untersuchung ist mir Hannah Arendt immer mehr abhanden gekommen und hat einem blassen Abglanz Platz gemacht.

Titelbild

Seyla Benhabib: Hannah Arendt. Die melancholische Denkerin der Moderne.
Rotbuch Verlag, Hamburg 1999.
350 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3880227047

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