Nichts hat wirklich Bedeutung

Benjamin von Stuckrad-Barres selbstgefällige "Bootleg"-CD

Von Daniel BeskosRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Beskos

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man muss ihn wohl nicht mehr vorstellen, Benjamin von Stuckrad-Barre, spätestens seit den Werbespots für Peek+Cloppenburg in allen Feuilletons Dauergast, ist nun auch auf Tonträger zu haben. In bester Rockbandmanier und in stringenter Konsequenz seiner Veröffentlichungspolitik ist auch diese Doppel-CD mit einem Begriff aus der Popmusik betitelt: Bootleg. Illegale Mitschnitte von Fans für Fans also. Oder?

Eher hochoffiziell geht's los: Ulrich Wickert darf das Intro sprechen, welches ihm wohl in der Maske des NDR untergeschoben wurde: "Come on, come on, come on!" Dafür macht er seine Sache überraschend gut und zieht sich gekonnt aus der Affäre. Und bevor Stuckrad-Barre endlich loslegt, greift Götz Alsmann mit seinem Bossa Nova Trio nochmal einen Satz von Wickert auf: "Let me entertain you".

Aber dann. Die Lesung kann beginnen, bzw. BvSB beginnt zu berichten, nämlich über sich, seine Texte, seine Veranstaltungsorte und das Publikum. Warum es in Hamburg besser war als anderswo. Wie schlimm es da und dort war. Und warum das Publikum gestern Abend an der gleichen Stelle mehr gelacht hat. Dann endlich werden die Stories ausgepackt, die BvSB so bekannt gemacht haben, die immer einen schnellen Lacher bereithalten und dem jungen Mann im feschen Anzug die drei vordersten Stuhlreihen voller schmachtender Zuhörerinnen garantieren.

Die Bandbreite an Themen ist weit, es lässt sich nun mal über vieles gut lästern. Diesmal geht es um die Schwierigkeiten des Beifahrerdaseins, um Mola Adebisi, Frank Elstner und andere TV-Größen (inklusive einer "GALA"-Homestory über Heiner Lauterbach und Jenny Elvers) und natürlich um Stuckrad-Barres Lieblingsopfer, nämlich die Popband "Pur" im Allgemeinen und die Frau des Sängers Hartmut Engler im Speziellen. Diese hat er in einem Hamburger Café vom Nachbartisch aus belauscht und zerreißt nun vor Publikum die mitgeschriebenen schwäbischen O-Töne aufs Gründlichste.

Auf der zweiten CD, betitelt "Outtakes", finden sich dann noch Gastperformances jeglicher Couleur: mal schimpft Stuckrad-Barre über Sibylle Berg, dann lacht er über die so genannten "Porno-Poeme" der Hamburger "BILD"-Redakteurin Katja Kessler, geschrieben als Untertitel zu den Nacktfotos in "BILD". Dann hat BvSB - natürlich ganz spontan, und nicht, wie manche vermuten, schon jeden Abend der Tour davor - im Post-Eingangskorb des Veranstalters gewühlt und mehr oder minder interessante Pressemeldungen aus der "BRAVO" gefunden, die er nun zur Belustigung des Publikums zum Besten gibt. Let me entertain you.

Natürlich, BvSB unterhält sein Publikum. Die meisten Texte und Erzählungen sind amüsant, einige sogar richtig komisch, wie zum Beispiel die eingeblendete Radio-Show eines Berliner Lokalradios, bei der er zu Gast war und dem stressig-jugendlichen Moderator den letzten Nerv raubte.

Und, natürlich, BvSB unterhält auch die Hörerinnen dieser CDs. Er unterhält vor allem dadurch, dass er Alltagssituationen, wie sie jedem bekannt sind, in ansprechender Form aufbereitet. Wiedererkennung ist Trumpf. Und auch, wenn er selbst das Gegenteil behauptet, so liegt man doch nicht falsch, seine Auftritte als Comedy zu bezeichnen (nicht umsonst fand seine letztjährige Performance beim Rock-am-Ring-Festival (!) im "Comedy-Zelt" statt). Dazu passt auch perfekt sein Credo, wie es im Booklet steht - "nothing really matters". Oder: Einmal Dasein mit Ironieglasur, bitte.

Wenn er jedoch wirklich von sich behauptet, "Literatur" zu produzieren, dann muss er sich auch an diesem selbst gesteckten Maßstab messen lassen. Und hier tritt der Hauptkritikpunkt offen zu Tage: BvSB fordert seine Leser und Zuhörer nie, er verlangt ihnen keinerlei literarisches Gefühl ab, zu einem Verständnis seines Vortrags reicht die "Ha-ha-genau-so-ist's"- und Schenkelklopf-Mentalität, mehr ist weder nötig noch erwünscht. Zudem gehen seine permanente Selbstgefälligkeit und die Tatsache, dass er seinen Gästen ständig rechthaberisch ins Wort fällt, zu Beginn vielleicht noch als Coolness oder auch als "Jung-und-Unerfahren-gewinnt"-Attitüde durch, auf Dauer nervt es aber einfach nur noch.

Stuckrad-Barre ist ein talentierter Entertainer, so viel ist sicher. Man sollte nur nicht so weit gehen, in ihm einen Repräsentanten der jungen deutschen Gegenwartsliteratur zu sehen - denn das ist er nicht.

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Benjamin von Stuckrad-Barre: Bootleg. 2 CDs (136 min. Laufzeit). Gelesen von Benjamin von Stuckrad-Barre.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
17,80 EUR.

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