Nur der Hund blickt verständnisvoll

Andrea Simmens Roman "Der eingeschneite Hund"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Da war dieser Hund mit seinem glänzenden Fell und der weichen Schnauze und Augen, die mich gutmütig anblickten, die so schauten, wie sich dies jedes Kind von einem Erwachsenen wünscht: verständnisvoll." Jener Hund spielt in Andrea Simmens auf Kindheitserinnerungen basierenden Roman "Der eingeschneite Hund" eine ganz zentrale Rolle. Er ist im hektischen Treiben, in den Brüchen der Handlung der einzige Ruhepol.

Die Ich-Erzählerin, von Zürich ins Tessin gezogen, bewohnt dort mit einem insgesamt 31-köpfigen Verwandtenclan eine alte Villa. Landflucht zur Erprobung alternativer Lebensformen lautete die damalige Formel der 68er-Generation, die wenig Rücksicht auf die Wünsche ihrer Kinder nahm.

Andrea Simmen (Jahrgang 1960) erzählt von zunächst unglücklichen Kindern, die sich in der Abgeschiedenheit nicht wohl fühlen, die kaum Kontakt zu den "Einheimischen" bekommen und endlosen Diskussionen der debattierfreudigen Eltern ausgesetzt sind. Die Erzählerin fühlt sich zum herumstreunenden Dorfjungen Silvano hingezogen: ein ungehobelter Bursche ohne Manieren, aber aufgrund seiner Verwegenheit ein in der Nachbarschaft anerkannter Wortführer unter den Gleichaltrigen.

Die Erwachsenen verfolgen diese Annäherung missmutig, denn soweit reicht ihr vermeintlicher Nonkonformismus nicht, dass man den Umgang mit diesem Silvano gutheißen würde. Trotz endloser Sozialismusdebatten möchte man doch zum Proletariat Distanz wahren. Ohne große Worte, quasi zwischen den Zeilen, deckt Andrea Simmen in ihrem Roman die Lebenslügen der 68er-Generation auf und beschreibt gleichzeitig die Wirren und die Orientierungslosigkeit, mit denen deren Kinder zu kämpfen hatten. Für "15 Cousins und Cousinen, jeden Alters zwischen Windelntragen und dem Ersten-Zigaretten-Rauchen", ist der "eingeschneite Hund" die einzige Anlaufstelle - als schweigender Zuhörer mit "verständnisvollem Blick".

So sprunghaft wie das Seelenleben der Jugendlichen in Andreas Simmens Roman ist auch die Sprache der Autorin. Sie pendelt zwischen poetischen Landschaftsbeschreibungen und bisweilen vulgärer Umgangssprache. Ein wenig kitschig klingt es schon, wenn jemand den "weichen Duft des Dorfes" riecht, doch im krassen Gegensatz dazu liest man, dass die Ich-Erzählerin während eines Ausflugs "halb Milano voll reiherte." Trotz des Fehlens eines durchgängigen Erzähltons, einer linearen Sprachmelodie, hat die in Winterthur lebende Autorin in diesem schmalen Roman auf eindrucksvolle Weise eigene Kindheitserinnerungen thematisiert und eine scharfe Trennlinie zwischen Erwachsenenperspektive und Kinderwelt herausgearbeitet. Dazwischen hockt mit stoischer Gelassenheit der "eingeschneite Hund" als stummes allegorisches Bindeglied.

Titelbild

Andrea Simmen: Der eingeschneite Hund. Roman.
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
147 Seiten, 16,40 EUR.
ISBN-10: 3895611212

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch