Was übrig bleibt oder: Die Philosophie der Tat

Fragmentarische Vollendung der "Salman"-Trilogie

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwischen Sozialismus und Feminismus, zwischen Magie und Wirklichkeit hat Irmtraud Morgner ihr mythisch-vertrautes Roman-Interieur angesiedelt. Nach "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura" (1974) und "Amanda - ein Hexenroman" (1983) sollte der dritte Teil der Salman-Trilogie ihre Geschichte der Frauen abrunden. Die Autorin starb jedoch am 6. Mai 1990 in Berlin, ohne ihr Vorhaben vollenden zu können.

Dennoch liegt der abschließende Teil nun als "Roman in Fragmenten" vor. Zweierlei gilt es zu berücksichtigen: die vielfältigen, ironisch gebrochenen Bezüge im Hinblick auf die beiden ersten Bücher. Zweitens die Editionsarbeit des Basler Schriftstellers und Morgner-Nachlass-Verwalters Rudolf Bussmann. Um mit dem Leichteren zu beginnen: die Editionsarbeit Bussmanns ist hervorragend. Trotz der Fülle an Material hat er das Wagnis unternommen, aus bereits fertigen Stücken, aber auch aus Notizen und Fragmenten ein Buch zusammenzustellen, das, ganz im Sinne seiner Urheberin, ein "offenes" Buch bleibt. Bussmann begleitet die kritischen Textstellen mit kenntnisreichen Kommentaren und beschließt das Buch mit einem Nachwort, das tiefere Einblicke in Irmtraud Morgners Dichterwerkstatt zu geben vermag. Mit viel Einfühlungsvermögen hat er sich aber auch der spezifischen morgnerschen Sprache und Sichtweise angenommen. Die Gliederung des Romanfragments stellt einzelne Teile in einen größeren Zusammenhang und erschließt durch Querverbindungen neue Bezugspunkte. Dabei gliedert Bussmann folgerichtig nach dem Erhaltungszustand der Handlung: zehn lose, jedoch in sich abgeschlossene Kapitel, gefolgt von Entwürfen und Notizen, die nach Figuren geordnet sind, und abschließend ein Anhang, der aus editorischen Bemerkungen, Faksimiles von Morgners handschriftlichen Aufzeichnungen und aus Beobachtungen bzw. Spekulationen über die Arbeitsweise der Autorin besteht.

Bereits 1992 veröffentlichte und rekonstruierte Bussmann den angeblich "verschollenen" Roman "Rumba auf einen Herbst aus dem Jahre 1966" von Irmtraud Morgner. Auch seine Arbeit am "Heroischen Testament" - das im Manuskript übrigens "Die Cherubinischen Wandersfrauen. Ein apokryphischer Salman-Roman" heißen sollte - ist bemerkenswert. Nicht nur eine ungeheure Materialfülle galt es zu bewältigen - 259 Mappen bestehend aus mehr als 12.000 Seiten -, es mussten auch noch die verschiedenen Arbeitsstadien der einzelnen Passagen berücksichtigt werden. Hinzu kommt, dass die Romanfragmente keinem vorgefertigten Kompositionsschema folgen. Deswegen sind die Bruchstücke und Notate für den Leser jedoch nicht minder interessant. Bussmann erläutert einzelne Abschnitte einleitend, was für die Lektüre unerlässlich ist, selbst für Kenner des Morgner'schen Werkes. Der Leser erhält so einen Einblick über die Arbeitsschritte und Konzeptionspläne der Schriftstellerin, einzelne Figuren und Handlungsabschnitte lassen sich so einem größeren Handlungsrahmen zuordnen. Alles in allem eine herausragende editorische Leistung, die den Herausgeber zum Komplizen der Autorin macht, im besten Sinne des Wortes.

Schwieriger steht es da schon mit der Ereignisfolge, dem Inhalt des Romans. Schwierig besonders deshalb, weil die Handlung auch vom Leser abhängig ist: aus den Fragmenten muss er sich selbst ein Ganzes bilden. Dies kommt jedoch der Morgner'schen Forderung nach einem "operativen Montageroman" nach.

Wer als Frau einen Mann braucht, schneidet ihn sich aus den Rippen. Zumindest Herta Kowalczik, genannt Hero, die Heldin des "Heroischen Testaments", tut dies. Der so Erschaffene heißt Leander. Um ihn über die Grenze der BRD in die DDR zu bringen, deklariert ihn Hero gegenüber der Akademie der Wissenschaften als ihre Dissertation, mit der sie eine neue Disziplin ins Leben ruft: die Philosophie der Tat. Sich etwas aus den Rippen zu schneiden, was man nicht hat, aber dringend benötigt, erscheint vor dem Hintergrund der DDR-Alltagserfahrungen verständlich.

Verwirrend und sinnlich, geradezu barock schreibt die Schriftstellerin, die sich als Sprachartistin zu erkennen gibt, vom Leben der Frau in der heutigen Welt. Ausgangspunkt ist ihre Forderung, die Welt "weiblich zu interpretieren, um sie menschlich zu verändern."

Zwischen Phantastischem und Realem verortet Morgner ein sozialistisches Frauenleben in einer Männergesellschaft und verblüfft durch professionelle Ironie und leichten Erzählfluss. Dabei hat sich im Vergleich zu den vorangegangenen Büchern der reflektierende Gestus, der auch die Ironie einschließt, verändert: Das hexische Lachen ist dem Verstummen angesichts einer Desillusionierung des real existierenden Feminismus gewichen. Ganz brechen will und kann sie mit Utopia aber nicht; die Autorin nicht und Hero ebenso wenig: "Ich muß mir täglich den Sinn und den Mut aus den Rippen schneiden. In Gestalt eines schönen Mannes, einer schönen Frau." Zuletzt bleibt die Erkenntnis: "Die Geschichte meiner Liebe ist mein Testament."

Irmtraud Morgner hatte ihre Salman-Trilogie nicht vollenden können, nicht vollenden wollen. Zu sehr waren ihre Utopien gebrochen worden, die sinnvolle Weiterführung der angesprochenen Themenbereiche bezweifelte sie zunehmend. Militärische Aufrüstung in Ost und West, rücksichtslose Umweltzerstörung, reaktionäre Tendenzen in den Emanzipationsbewegungen sowie einengende Schreibbedingungen in der DDR vermehrten ihre wachsende Skepsis am gesellschaftlichen Fortschritt des Menschen. Die sozialistisch-marxistische Gesellschaftsutopie sah sie als gescheitert. Während Morgner in der "Trobadora Beatriz" und in "Amanda" nach Bloch'schem Konzept sowohl mit Gesellschaftsutopien als auch mit Subjektutopien experimentierte, verlagert sie den Schwerpunkt ihrer Utopiekonzeptionen im "Heroischen Testament" ausschließlich auf das utopische Potenzial im einzelnen Menschen. Doch auch hier scheint sie vor Enttäuschungen nicht bewahrt geblieben zu sein. All dies mag letztlich als Erklärungsmodell herhalten für die Tatsache, dass sie über das "Heroische Testament" schrieb: "Dieses Buch gehört dem Harlekin".

Titelbild

Irmtraud Morgner: Das heroische Testament. Roman in Fragmenten. Aus nachgelassenen Papieren.
Luchterhand Literaturverlag, München 1998.
397 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3630869920

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