Die Romantik erfüllt sich selbst in ihrer Kritik

Katrin Seebachers nachgelassene Untersuchung zur Selbstkritik der Romantik

Von Arnd BeiseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Arnd Beise

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Die Kritik der Romantik sei so alt wie die Romantik selbst, ja die Romantik erfülle sich nachgerade in ihrer eigenen Kritik am hypertrophen Subjektivismus, den sie kultivierte, so die grundlegende These von Katrin Seebachers luzider Forschungsarbeit. Allerdings zeichne sich die romantische Selbstkritik durch eine Konsequenzenlosigkeit aus, die sie in einem circulus vitiosus gefangen halte. Erst mit seiner letzten Novelle "Waldeinsamkeit" (1840) sei es Tieck gelungen, daraus auszubrechen.

Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Analyse von Jean Pauls großem Roman "Titan" (1800-1803), wo die "poetische Selbstverdammnis" in humoristischer Form anhand der Figur Roquairol durchexerziert werde. Als Alternative zu der subjektivismusverdächtigen Ironie gedacht, soll der Humor als Regulativ der romantischen Hypostase aller Ich-Instanzen fungieren, doch scheitern die Humoristen von Viktor über Siebenkäs und Schoppe bei Vult und Worble an eben jener "Überforderung des Ich", die Jean Paul als "einkräftig" kritisierte. Damit ist "die Funktion des Humors als Romantikkorrektiv zumindest in Frage gestellt", merkt Seebacher zu Recht an. Der Kraft zur Analyse und Selbsterkenntnis gesellt sich ein fast ebenso starkes Bedürfnis nach Selbsttäuschung bei, das den Prozess der "rekursiven" Kritik weder in Jean Pauls Roman noch in der Romantik überhaupt an sein Ziel gelangen ließ.

Dafür sind im Wesentlichen zwei Dinge verantwortlich: Erstens die romantische Auffassung der Kritik nicht als Be- oder Verurteilen, sondern als Reflexion des Ideengehalts und der formalen Gestaltung eines Kunstwerks. Die Romantikkritik entlehne Seebacher zufolge "von der frühromantischen Kritik- und Ironie-Theorie den Anspruch der Potenzierung durch Reflexion. Dadurch wird jedoch die zirkuläre Struktur dieser Form von Kritik lediglich verdeckt. Ein ,Mißstand' wird indiziert, aber nicht ausgeräumt und verfällt damit immer wieder der Kritik." Zweitens: Die Selbstkritik der Romantik wird im Gewand romantischer Dichtung vorgetragen, die Kritik bleibt im Beurteilten somit befangen. "Weil meist ausschließlich eine Diagnose der eigenen ,Zeit' oder Konstitution gestellt, jedoch keine ,Therapie' der Mißstände vorgeschlagen wird, bleibt die Kritik ohne Konsequenz und das Problem unbewältigt." Dies ändert sich erst, als etwas anderes an die Stelle des Kritisierten tritt und "der Kreis der sich selbst reproduzierenden Kritik dergestalt durchbrochen wird", also im Vormärz, als etwa Republikanismus oder die Nation als Bezugsgrößen an die Stelle der "Romantik" in der Kritik an der Romantik tritt.

Seebacher hat ihre Arbeit über die romantische Romantikkritik wesentlich als Studie über Jean Paul angelegt, weil er in großer Nähe wie expliziter Distanz zur zeitgenössischen romantischen Bewegung stehe; weil sein in Betracht gezogenes Werk von der "Unsichtbaren Loge" (1793) bis zum "Kometen" (1820-1822) fast den gesamten Zeitraum romantischer Produktion abdecke; weil es seine Wurzeln in Aufklärung und Empfindsamkeit habe und das klassische und romantische Umfeld reflektiere; weil es den erhellenden Widerspruch zwischen romantischkritischer Tendenz in der Poetologie ("Vorschule der Ästhetik", 1804) und romantischer Schreibpraxis in den Romanen gebe; und schließlich weil "romantische Subjektivität" ein Kernelement Jean Paul'scher Dichtung sei.

Die dreiteilig angelegte Untersuchung von Jean Pauls Werken ("Der fatale ,Weg nach innen': Jean Pauls ,Hohe Menschen'"; ",Philosophischer Egoismus' und sein Korrektiv: Die Reihe der Humoristen"; ",Genie im guten Sinne und im bösen auch': Der ästhetizistisch ,Böse' und das ,allkräftige' Genie") wird durch die vergleichende Lektüre anderer zentraler romantischer Werke von Novalis ("Heinrich von Ofterdingen"), Ludwig Tieck ("William Lovell"; "Der Runenberg", "Der blonde Eckbert", "Waldeinsamkeit"), Achim von Arnim ("Hollin's Liebeleben"), August Klingemann ("Nachtwachen. Von Bonaventura"), E. T. A. Hoffmann ("Bergwerke zu Falun"; "Kater Murr", "Prinzessin Brambilla"), Joseph von Eichendorff ("Ahnung und Gegenwart") sowie eines Vorgängers (Friedrich Jacobi: "Eduard Allwill") und eines Nachfolgers (Sören Kierkegaard: "Tagebuch des Verführers") kontextualisiert.

Dabei zeigt sich, dass die kritische Selbstproblematisierung mit Ausnahme von Novalis' "Ofterdingen" und Arnims "Hollin" in all diesen Werken thematisch ist und die Romantikkritik somit als - wenn auch nicht distinktes, so doch charakteristisches - Merkmal der Romantik selbst angesprochen werden muss. Es war schon von Anfang an vorhanden, das zeigt schon Tiecks "William Lovell" (1795-1796), doch tauchten auch immer wieder Werke auf, die keine Kritik am emphatisch vorgetragenen Subjektivismus formulieren (Schlegels "Lucinde" 1799; Arnims "Hollin" 1802). Es muss daher betont werden, dass es keine lineare Entwicklungsgeschichte der romantischen Kritik an der Romantik gibt, sondern nur verschiedenartige Ausprägungen in der gesamten Epoche.

Diese werden von Seebacher feinfühlig und ohne moralische Wertung in einer nüchternen und genauen, von allen überflüssigen Manierismen freien Sprache beschrieben. Die Untersuchung der romantischen Selbstreflexion im Medium einer nicht-distanzierten Selbstkritik, ein bisher erstaunlicherweise noch kaum untersuchter Gegenstand, ist als wichtiger Beitrag zur Erforschung der romantischen Dichtung überhaupt einzuschätzen.

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Katrin Seebacher: Poetische Selbst-Verdammnis. Romantikkritik der Romantik.
Rombach Verlag, Freiburg 2000.
285 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3793092488

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