Instrument der Lustbefriedigung

Über "Lust" von Elfriede Jelinek

Von Aline WillekeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Aline Willeke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Lust" zeichnet das bedrückende Bild eines Gesellschaftssystems, das die Frau in allen sozialen und politischen Bereichen in die Rolle des Objekts zu zwingen versucht.

Sex, wie er in "Lust" dargestellt ist, dient als Mittel, das bestehende Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern offenzulegen, in dem die Frau, Gerti, die Rolle der Beherrschten, der Sklavin ihres Mannes übernimmt.

Sex wird als Machtergreifung des Mannes über die Frau beschrieben. Hermann nimmt seine Gerti täglich gewaltsam in Besitz.

Aus Angst vor Aids hat er sich entschlossen, die Bordellbesuche und den Partnertausch einzustellen, um von nun an ausschließlich seine Ehefrau zu konsumieren. Mit detailliert und distanziert dargestellter Brutalität vergewaltigt er sie nachts, morgens zwischen Frühstück und seiner Arbeit als Fabrikdirektor, er bestellt sie in seine Papierfabrik und läßt seine sexuellen Bedürfnisse stillen oder kommt zwischendurch nach Hause, um seine Lust an ihrem Körper auszutoben.

Hermann fordert absolute Verfügbarkeit über Gertis Körper. Er reduziert sie auf ihre Geschlechtsmerkmale, die immer willig und für ihn bereit sein müssen. Seine Lust, die im Buch stellvertretend für die männliche Lust steht, beherrscht, unterdrückt und ignoriert das weibliche Begehren. Und zwar in solchem Maß, daß es nicht mehr zu existieren scheint. Die Begierde des Mannes löscht die der Frau aus, verwehrt ihr jeden Raum. Sexuelle Unterwürfigkeit der Frau wird alltäglich als Selbstverständlichkeit eingefordert.

Gerti wird zum Instrument seiner Lustbefriedigung degradiert. Sie ist sein Eigentum, in das er investiert und das er deshalb auch benutzen darf. Sie ist ein Gebrauchsgegenstand wie ein Auto, das seinen Zweck erfüllt, ein Behältnis, das zur Aufnahme seiner Lust bereitsteht.

"So steht die Frau still wie eine Klomuschel, damit der Mann sein Geschäft in sie hineinmachen kann. Er drückt ihr den Kopf in die Badewanne und droht, die Hand in ihr Haar gekrallt, daß wie man sich bettet so liebt man. Nein, weint die Frau, an ihr hängt keine Liebe. Schon klappert der Mann mit seinen Knöpfen. Der Nylonschlafrock wird herumgestülpt, er wickelt sich ihr um die Ohren. Es winselt in den Eingeweiden wie von gefangenen Tieren, die Heraus wollen mit schweren Tritten. Das Batistnachthemd, hell und stumpf wie ein Zündlicht, wird der Frau ins Maul gestopft, und die Natur des Mannes erscheint zögernd von außen. Sein unschuldig Wasser wird abgeschlagen. Dicht neben der Frau plätschert es aus dem dunklen Rauch des Schamhaars in die Badewanne, direkt an ihrer gesenkten Wange vorbei. Das Email strahlt in frischem Glanz. Schnell ist der Schwanz des Mannes in dieser freundlichen Umgebung aufgewachsen. Die Frau muß husten, während ihr die Flanken geweitet werden. Der Büchsenöffner wird aus der grauenhaften Flanellhose gezogen und eine milchige Flüssigkeit erscheint, nachdem der Mann etwa eine Weile, die ein Fettfleck braucht eingewirkt hat und liebend sich in einer stacheligen Haarwolke ertönen hat lassen."

Jelineks Schilderungen bedienen nicht voyeuristische Gelüste, dem Leser vergeht die Lust, wenn Sex als mechanischer Vorgang dargestellt wird, mit tierischen Attributen besetzt ist oder fern jeder Sinnlichkeit, funktionalisiert und entmenschlicht wird.

Sex gibt Hermann das Gefühl, über sich selbst hinauswachsen zu können, seine Erektion bestätigt ihn. Er will sich vervielfältigen, sich unsterblich machen, wenn er seinen lebensspendenden Samen ausschüttet, mit dem Gedanken Kinder zu zeugen,. Sex ermöglicht es ihm, sich seine Bedeutung über den Tod hinaus zu beweisen. Die kurze Befriedigung des Triebes und der unbewußten Sehnsüchte führen zu einem Wiederholungszwang. Seine Stellung als einziger Machthaber muß immer wieder aufs Neue klargestellt werden. Der Mann hat das Bedürfnis, sich zu verewigen, sichtbare Spuren zu hinterlassen - in der Welt und durch sexuelle Gewalt am Körper seiner Frau. So markiert er seinen Besitz, zeichnet sie mit seinem Namen, indem er ihr mit sadistischer Freude Wunden zufügt, damit für eventuelle Konkurrenten der Eigentümer erkennbar ist.

Gerti stellt das Machtverhältnis Mann/Frau nicht in Frage. Sie erlebt Sex ausnahmslos als Demütigung. Passiv erduldet sie brutale sexuelle Gewalt. Lustlos läßt sie alles über sich ergehen, egal wann, egal wie. Es scheint gar nicht mehr ihr Körper zu sein, der gequält wird. Sie hat die Beziehung dazu verloren, hat sich von ihrem Körper entfernt, ihn verlassen und ihrem Ehemann überlassen.

"Hinter diesen Bergen ist Gerti zusammengesunken, verspottet wie ihr ganzes Geschlecht, das den Strom der Haushaltswaren einschalten, aber seinen eigenen Körper nicht verwalten darf."

Sie hat es aufgegeben, sich zu wehren. Resigniert steht sie der männlichen Stärke gegenüber, die mit sexueller Macht demonstriert wird, sie kann sich nicht schützen oder verteidigen. Ihre Überlebensstrategie heißt Betäubung, sie trinkt und schaltet sich aus. Hermann ist ihre Existenzsicherung. Gerti prostituiert sich für ihren Lebensunterhalt und ein bißchen Luxus. Sie leidet und hofft, aber reflektiert nicht, bleibt handlungsunfähig und spielt das Spiel der Unterdrückung als Opfer mit.

Titelbild

Elfriede Jelinek: Lust.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1989.
256 Seiten,
ISBN-10: 3498033239

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