Die Macht des Marktes

Neoliberalismus heute

Von Julia SchöllRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Schöll

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Für den größten Teil der Nordamerikaner sind die Einkommen seit 15 Jahren ständig gefallen, die Arbeitsbedingungen schlechter, gesicherte Arbeitsplätze seltener geworden. Neu ist jedoch, daß sich diese Tendenz in der wirtschaftlichen Erholungsphase fortsetzt." Diese Entwicklung, so stellt Chomsky in seinem jüngsten Buch "Profit over People" fest, ist eine Folge der US-amerikanischen Version des Neoliberalismus.

Noam Chomsky, Professor am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), gilt seit 30 Jahren als einer der wichtigsten - und schärftsten! - Kritiker nordamerikanischer Politik. In seinem neuen Buch analysiert er den Neoliberalismus als ein Prinzip, das den Profit über den Menschen stellt und die Kluft zwischen Arm und Reich stetig vergrößert. In den USA, so Chomsky, sei die soziale Ungleichheit so stark wie seit 70 Jahren nicht mehr und die Kinderarmut größer als in jeder anderen Industrienation. Dem gegenüber stehen die immensen Profite der Privatwirtschaft.

Demokratie und Markt sind die Schlüsselbegriffe, anhand derer Chomsky die demokratische Maskierung des Neoliberalismus enttarnt. Am Beispiel der USA zeigt er, wie weit neoliberalistisches Dogma und Realität auseinander klaffen. Während die abhängigen Staaten, vor allem Südamerikas, gezwungen werden, sich den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen, wird nach innen ein kaum verschleierter Protektionismus praktiziert. Während die nach außen propagierte Freihandelstheorie öffentliche Subventionen verbietet, wurde in den USA schon unter Truman die Militärindustrie gesponsert - mit dem Argument der "nationalen Sicherheit". Unter Reagan trieb die Pseudo-Liberalisierung und -globalisierung offene Blüten. Die Agrarwirtschaft, die Telekommunikationsbranche und der Finanzsektor sind nur einige von Chomskys Beispielen. Eine Studie der Zeitschrift "Fortune" stellte fest, dass von den 100 weltweit größten Unternehmen 20 ohne Regierungsunterstützung nicht überlebt hätten. Während jedoch die Subventionierung der Wirtschaft aus öffentlichen Geldern bestritten wird, fließen die Profite in die Taschen der Konzerne.

Und damit ist Chomsky bei seiner zentralen These: Der Neoliberalismus begünstigt die Kapitaleigner, die Kosten tragen jedoch die Arbeitnehmer. Am Beispiel des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) zeigt Chomsky, wie die amerikanischen Gewerkschaften für ihre Kritik an dem Abkommen systematisch diffamiert wurden. Chomsky weist nach, dass seit dem Freihandelsabkommen dreimal so viele Unternehmen wie vorher vorübergehend geschlossen wurden. Streiks werden so durch die Drohung verhindert, dass die Produktion bei einem Streik ins Ausland verlegt würde ( was im Zweifelsfall auch geschieht.

Ein ausführliches Kapitel widmet Chomsky der Instrumentalisierung der Massenmedien zu neoliberalistischen Zwecken, die eine stetige Entpolitisierung der Wählenden zur Folge hat. In der täglichen Informationsflut wird Politik immer undurchschaubarer. Zugleich wird die Möglichkeit, durch eigene Beteiligung an demokratischen Prozessen Veränderungen zu bewirken, immer geringer eingeschätzt. Am sichtbarsten wird dieser Effekt in der schwindenden Wahlbeteiligung in den USA. Chomsky macht deutlich, dass dies ein gewollter Effekt ist. Wer das öffentliche Bewusstsein kontrolliert, hat nicht mit massiver Kritik an seiner Politik zu rechnen. Dieses Prinzip herrscht sowohl in der Öffentlichkeitsarbeit der amerikanischen Regierung als auch in der der Wirtschaft. Allein für Marketing wird in den USA eine Billiarde Dollar pro Jahr ausgegeben. "Diese Kosten sind vielfach steuerabzugsfähig, so daß die Leute für das Privileg, manipuliert zu werden, auch noch bezahlen."

Chomsky schreibt engagiert, stellenweise auch polemisch, doch immer lesbar und allgemein verständlich. Das Material an Zahlen und Daten, das er vorlegt, ist erschreckend. Das tatsächlich Spannende sind jedoch die sich dahinter verbergenden politischen Muster, die Chomsky freilegt. Selbst wer den Neoliberalismus durchschaut zu haben glaubt, wird in diesem Buch Neues finden.

Erst am Ende zeigt sich in Chomskys Buch ein Hoffnungsstreifen am Firmament, wenn der Autor auf die Erfolge derjenigen verweist, die tatsächlich den "Grundsätzen von Freiheit und Gerechtigkeit" verpflichtet sind. Was Bürgerrechtsbewegungen, Gewerkschaften oder die Frauenbewegung innerhalb des letzten Jahrhunderts erreicht haben, ist ermutigend, so Chomsky. Für den Kampf "bedarf es einer realistischen Einschätzung der konkreten Umstände und Bedingungen und ihres historischen Ursprungs". Diesen Beitrag will Chomsky mit seinem Buch leisten. Was danach kommt, führt er zwar nicht mehr aus, er macht aber deutlich, was in seinen Augen allein Veränderung bewirken kann: widerständiges Handeln.

Titelbild

Noam Chomsky: Profit over People. Neoliberalismus und globale Weltordnung.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Michael Haupt.
Europa Verlag, Hamburg 2000.
160 Seiten, 12,50 EUR.
ISBN-10: 320376010X

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