Schamane, Irrenarzt, Psychiater

Theo R. Payks beeindruckende Gesamtschau der Psychiatriegeschichte

Von Gerhard KöpfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerhard Köpf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist gute Tradition in der Psychiatrie, dass sich ihre herausragenden Persönlichkeiten gelegentlich in Publikationen äußern, die weit über das klassische Lehrbuch hinausgehen. Solche Bücher wenden sich an Fachleute ebenso wie an ein breiteres Publikum, das auf diese Weise Einblick erhält in Bereiche, die ihm jenseits der Fachliteratur häufig verschlossen bleiben. Man liest solche Bücher mit einem doppelten Gewinn, denn nicht selten tragen sie - sofern sie gut geschrieben sind - zur Aufklärung und damit zur Beseitigung von Vorurteilen bei.

Theo R. Payk, Ärztlicher Leiter des Westfälischen Zentrums für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum der Ruhr-Universität Bochum, unter anderem Autor auch der vielfach bewährten "Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie", hat ein solch lesenswertes Buch vorgelegt. Der Titel "Psychiater" ist bescheiden und umfassend zugleich, und der Mut zum Untertitel "Forscher im Labyrinth der Seele" signalisiert sogleich, worum es hier geht: um profunde Forschungsarbeit in einem nach wie vor labyrinthischen Gefüge, das mit dem jenseits aller Theologie zu verstehenden Wort "Seele" weitaus präziser bezeichnet ist als mit dem wohlfeilen und deshalb verschlissenen Begriff "Psyche".

Was an diesem Buch Bewunderung verdient, ist nicht nur die Souveränität des Überblicks, sondern auch die unkapriziöse Form der sprachlichen Darstellung. Hier verschwindet das Thema nicht unter einer Fachterminologie nur für Insider, sondern es wird auf wohltuende Weise so erschlossen, dass von Kapitel zu Kapitel dessen Komplexität einsichtiger wird und das Lesevergnügen wächst. Und noch etwas gilt es zu bewundern: Theo R. Payk schafft es unangestrengt, Geschichte und Gegenwart, einschlägige Forschung und kritischen Blick so gekonnt miteinander zu verbinden, dass es an keiner Stelle seines Buches zu Redundanzen oder störenden Abschweifungen kommt. Im Gegenteil: Das Exkursorische dient der Konturierung des Zentralen.

Plastizität, Anschaulichkeit und Überschaubarkeit der einzelnen Abschnitte zählen zu den großen Stärken dieses Bandes, der den Leser, eingestimmt von einem Motto Rilkes, ganz unaufdringlich und unauffällig an die Hand nimmt und ihn auf dem langen Weg vom Schamanen zum Irrenarzt und zum Psychiater der Neu- und Jetztzeit begleitet. Wer solche Wege kennt, der weiß auch von dessen Verirrungen. Das Kapitel "Handlanger der Euthanasie" belegt es auf eindrucksvolle Weise. Zeitumbrüche werden geschickt mit wissenschaftlichen Paradigmenwechseln verbunden, wovon etwa die Ausführungen zur Antipsychiatrie Zeugnis ablegen. Vor dem fachwissenschaftlichen und geistesgeschichtlichen Hintergrund des Erbes der Neurologie und der Veränderungen in der psychiatrischen Pflege wird die Entwicklung der Psychiatrie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht nur historisch aufgerissen, sondern auch gesamtgesellschaftlich reflektiert.

Der bedeutende Anteil, den die jeweilige Mediziner-Persönlichkeit mit der beruflichen Prägung verbinden muss, kommt dabei nicht zu kurz. Wohltuend ist die persönliche Zurückhaltung Payks, wenngleich solches den Leser neugierig macht. Er erfährt dafür Profundes über Aus-, Weiter- und Fortbildung dieses Berufes in historischem Wandel, wird über Aufgaben, Pflichten und Rechte des Psychiaters informiert und auch vor das gesellschaftlich gerne stereotypisierte Gegensatzpaar von Therapeut und Wächter gestellt.

Spätestens mit diesem Abschnitt wird die selbstkritische Position Payks immer deutlicher. Und gerade das macht seine Arbeit so wertvoll. Sexueller und narzisstischer Missbrauch in der Psychiatrie werden nicht verschwiegen, so wenig wie eine kritische Durchleuchtung der Szene der Paratherapeuten fehlt. All dies geschieht jedoch ohne Polemik und ohne moralisierend erhobenen Zeigefinger, sondern mit jener sachlichen Ruhe, die den Argumenten Payks zusätzlich Gewicht gibt. Der Blick auf den eigenen Beruf des Psychiaters schließt aber immer auch den Blick des Patienten auf Psychiater und Psychiatrie mit ein. Auch hier leistet der vorliegende Band so knapp wie möglich und so ausführlich wie nötig beeindruckende Anschaulichkeit.

Als besonders spannend und gelungen habe ich die Ausführungen über die öffentliche Meinung zu Psychiatern und Psychiatrie sowie deren Darstellung in den Medien gelesen. Der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen, dass gerade auf diesen Sektoren die Psychiatrische Wirkungsforschung noch ein weites Feld vor sich hat, das abzustecken Payks Ausführungen bestens geeignet sind.

Die letzten drei Kapitel des Buches widmen sich Ärzten mit psychischen Störungen, psychisch kranken Psychiatern und dem Burn-out-Syndrom. Es versteht sich von selbst, dass mit der psychischen Erkrankung von Nervenärzten nicht jener wohlfeilen Typisierung das Wort geredet wird, mit denen Psychiater im so genannten "Irrenwitz" ausgestattet sind. Dass andererseits aber auch einige analytische Anmerkungen zum "Irrenwitz" nicht in Payks ernsthafter und stets auf der Höhe von Forschung und Ethik argumentierenden Abhandlung fehlen, macht sie umso sympathischer. Solches gilt auch für die Zeilen, mit denen Payk seine Arbeit abschließt: "Künftige Psychiater und Psychotherapeuten werden sich von den heutigen nicht weniger unterscheiden, als die gegenwärtigen mit ihren beruflichen Ahnen gemeinsam haben. Solange Menschen ihresgleichen zu behandeln und zu heilen versuchen, sollten beide Seiten sich über die Grenzen ihrer Fähigkeiten und Besonderheiten ihres Auftrags Klarheit verschaffen."

Theo R. Payk ist eine beeindruckende Gesamtschau gelungen, die frei ist von jedwedem Fundamentalismus, sondern offen ist für die Komplexität unterschiedlicher wissenschaftlicher Ansätze, die Historisches mit Gegenwärtigem gekonnt verbindet und darüber hinaus eine Wissenschaftsprosa pflegt, die gerade in dieser Disziplin oft vermisst wird, weil sie den Leser aus dem Auge verliert.

Titelbild

Theo R. Payk: Psychiater. Forscher im Labyrinth der Seele.
Kohlhammer Verlag, Stuttgart, Berlin, Köln 2001.
376 Seiten, 35,70 EUR.
ISBN-10: 3170166840

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch