La femme-écrivaine existe

Elke Brüns zur Psychosexualität der Autorpositionen Haushofers, Fleißers und Bachmanns

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Was ist eine Frau, wenn sie schreibt? Eine schreibende Frau?" - mit diesen Fragen leitet Elke Brüns ihre Untersuchung zu den "psychosexuellen Autorpositionen bei Marlen Haushofer, Marieluise Fleißer und Ingeborg Bachmann" ein. "Natürlich!" würde der 'gesunde Menschverstand' wohl antworten, wenn ihm diese Frage gestellt würde. Doch wie stets würde er es sich auch hier zu einfach machen. Denn keinesfalls ist die Antwort natürlich, wie einem spätestens während der Lektüre des Buches klar wird. Am Beispiel der drei Literatinnen geht Brüns der Frage nach, welchen "psychosexuellen Status" schreibende weibliche Subjekte einnehmen. Zuvor steckt sie den theoretischen Rahmen ihrer Untersuchung ab. Brüns geht davon aus, dass die "sozialen gender-Konstruktionsprozesse" mit ihren "intrasubjektiven" und unbewussten Anteilen verknüpft werden müssen, um die "Erkundung psychosexueller Autorpositionen" zielführend zu machen. Auf diese Weise versucht Brüns, andere Deutungen zu erarbeiten, als die "orthodoxe psychoanalytische Sicht" erlaubt. Ein Unterfangen, das vielleicht in ihrer Auseinandersetzung mit dem "Triumvirat" Kristeva, Cixous und Irigaray den deutlichsten Ausdruck findet. Die Texte der drei Französinnen seien "in keiner Weise semiotisch aufgeladen", sondern vielmehr ein "Versuch, in recht abgestanden symbolischen Formen die métapor maternelle" zu beschreiben. Dem Fehlen einer "poetischen Sprache" entspreche der "Objekt-Status", den bei ihnen nicht nur die Mutter, sondern auch deren "metaphorische Reinszenierung" einnehme. Somit werde von ihnen der "ahistorische Blick" der Psychoanalyse übernommen. Brüns vermeidet diesen Fehler, indem sie die psychoanalytisch/texttheoretisch orientierte Forschung mit der sozialgeschichtlichen verbindet, wobei sie allerdings die sozialgeschichtliche Dimension aus guten Gründen im Hintergrund belässt.

Da "Fegefeuer in Ingolstadt" in der Fassung von 1926 das 'eigenste' Werk Fleißers sei, bildet dieses Stück die Grundlage der Analyse der psychosexuellen Autorposition bei Fleißer. In Lacans Darstellung der "passion imaginaire" finde sich eine "gute Folie" zur Beschreibung des psychosexuellen Zustandes der ProtagonistInnen des Stückes, in dem die "Unmöglichkeit der Paarbildung zwischen Sexualwesen" gezeigt werde. Lacans "passion imaginaire" betreffend ist ihr zuzustimmen, doch ist ihre Feststellung bezüglich der Paarbildung allzu allgemein, ist sie doch nicht nur ahistorisch, sondern schließt letztlich selbst Tiere mit ein.

Bevor sich Brüns jedoch Fleißer zuwendet, untersucht sie die Prosa Haushofers. Diejenige Bachmanns bildet den Abschluss. Brüns folgt also nicht der historischen Chronologie, sondern orientierte sich an der Frage, inwiefern weibliche Autorschaft in den untersuchten Werken selbst problematisiert wird. Dass dies bei Fleißer in größerem Maße der Fall sei als bei Haushofer, will allerdings nicht so recht einleuchten.

In dem Haushofer gewidmeten Kapitel wendet sich Brüns vor allem den beiden Romane "Himmel, der nirgendwo endet" und "Die Wand" zu. Denn gerade ihnen sei die "geheime Schrift einer psychosexuellen Dramatik" eingeschrieben. Die beiden Texte werden einer stark parallelisierenden Interpretation unterzogen, anhand derer Brüns zu dem Ergebnis kommt, dass das zentrale "Umschlagsmoment weiblicher Lebensentwürfe" in Haushofers Werk "an die Akzeptanz der Mutterfunktion gebunden" sei. Zwar erstaunt etwas, dass die jenseits der Wand zurückbleibenden Kinder der Ich-Erzählerin der "Wand" unerwähnt bleiben, dennoch überzeugt Brüns' Analyse der Mutterschaft: In ihr realisiere sich die "rächende Natur", indem die Gebärfähigkeit der Frau scheinbar unausweichlich zu Mutterschaft, Ehe, Hausfrauentätigkeit und all den mit ihnen verknüpften sozialen Folgen führe, also unausweichlich "die ganz normale Geschichte des weiblichen Lebensmusters" nach sich ziehe. Die "Natur des weiblichen Körpers" habe "qua Mutterschaft" eine "unentrinnbare Falle" gestellt, so Brüns, womit sich in Haushofers Prosa Freuds Diktum, dass Anatomie Schicksal sei, "auf furchtbare Weise" realisiere. Paradoxerweise bestehe nun der grundsätzliche Antagonismus, dem Haushofers Protagonistinnen ausgesetzt sind, gerade in der prinzipiellen Unvereinbarkeit von "Frau-Werden und Mutter-Sein". Der Weg der Frau in die Mutterschaft entspreche einer "sozialen Mortifizierung". In dieser drücke sich "das Trauma missglückter weiblicher Subjektgenese" aus. Brüns weist diese Entwicklung bei Haushofers Protagonistinnen nicht nur am Beispiel der "Wand" nach, sondern nicht weniger eindrucksvoll an "Wir töten Stella", "Die Tapetentür" und "Die Mansarde". Weiblichkeit als Selbstrepräsentanz von Frauen findet sich in Haushofers Prosa hingegen nicht. Ihre Frauenfiguren sind vielmehr von Resignation, Lethargie und einer "tiefgehenden Beschädigung der Persönlichkeitsstrukturen" geprägt. Haushofers Protagonistinnen, so die Autorin abschließend, seien nicht einfach nur am falschen Ort, sondern "Ortlose". Diesen Umstand bildeten selbst die Sprachstrukturen und Bilder "unerbittlich" ab. Nichts sei hier "in Bewegung, auch die Sprache nicht". So, wie Haushofers "Heldinnen" in "ihrer beschränkten Welt" lebten, halte ihre Prosa am "vorgefundenen Sprachmaterial" fest.

Bachmanns Werk erweist sich gegenüber denen der zuvor untersuchten Autorinnen für eine Analyse der psychosexuellen Autorposition als ungleich produktiver, da Bachmann "das Problem weiblicher Autorschaft im Werke selbst reflektiert und thematisiert" hat. Zur Analyse der psychosexuellen Autorposition Bachmanns zieht Brüns vorrangig drei dem "Todesarten"-Projekt zuzurechnende Romane und Fragmente heran: das "Requiem für Fanny Goldmann", "Das Buch Franza" und "Malina". Zwar widerspricht Brüns einerseits Dirk Göttsches und Monika Albrechts Auffassung, dass Bachmann "jahrzehntelang literarisch auf Frisch" geantwortet habe. Vielmehr sei es umgekehrt gewesen, Frisch sei es gewesen, der "auf Bachmann bezogen weitergeschrieben" habe. Doch interpretiert sie andererseits selbst - und zwar in gewissem Anschluss an Albrechts Studie "Die andere Seite" - Bachmanns psychosexuelle Autorposition gerade aus deren Verhältnis zu Frisch (und dem früheren zu Hans Weigel). Auf die "Erfahrung ihrer Ausbeutung" durch Frisch habe Bachmann mit "Noblesse" reagiert, meint Brüns. Doch verkennt das auf verharmlosende Weise, dass Bachmann an der 'Erfahrung Frisch' fast zerbrochen wäre. Auch dass die Literatin "keinen Zorn" gehegt, "keine Wut" empfunden "und schon gar keine kleinliche Revanche" gewollt habe, wird man nach der kürzlich erfolgten Veröffentlichung der "unveröffentlichten Gedichte" Bachmanns so nicht mehr aufrechterhalten können, die Brüns allerdings bei Abschluss ihrer Untersuchung noch nicht kennen konnte. Und nach dem jüngst erschienenen Briefwechsel zwischen Paul Celan und seiner Frau Gisèle Celan-Lestrange, der ein neues Licht auf die Beziehung Bachmann/Celan wirft, da durch ihn die Wiederaufnahme ihrer Liebschaft Ende der 50er Jahre bekannt wurde, stellt sich die Frage, ob Celan nicht eine zumindest ebensolche - obgleich ganz anders geartete - Relevanz für Bachmanns psychosexuelle Autorposition zuzusprechen wäre wie Weigel. Was Frischs Bedeutung für die psychosexuelle Autorposition bei Bachmann betrifft, so dürften von den Korrespondenzen mit seinen Lebenspartnerinnen weitere erkenntnisstiftende Informationen zu erwarten sein, die jedoch bis 2011 gesperrt sind. Doch ist Brüns natürlich nicht anzulasten, dass nach Publikation ihrer Untersuchung weitere forschungsrelevante Informationen bekannt werden. Zumindest bis zur Freigabe von Bachmanns Nachlass 2025 wird die Forschung mit dieser misslichen Lage leben müssen.

Wie sieht nun aber Brüns' - das sei vorweggenommen - beeindruckende Analyse von Bachmanns psychosexueller Autorposition vor dem Hintergrund von Bachmanns Beziehung zu Frisch aus? Die Literarisierung ihrer Person, so stellt die Autorin zu Recht fest, sei ein "Angriff" auf Bachmanns Autorschaft gewesen. Zumal Bachmann selbst stets eine männlichen Autorposition eingenommen habe, sich in ihrem Werk geradezu ein "Zwang" hierzu artikuliere. Daher sei es für Bachmann umso schlimmer gewesen, dass sie von Frisch auf "die Funktion der 'Materiallieferantin' Frau - und damit auf ihr Geschlecht zurückverwiesen" worden sei. So sehr die Autorin auch den männlichen Autorstatus Bachmanns hervorhebt und betont, dass in ihrer gesamten Werkgeschichte "psychosexuell ihre männliche Seite" dominiere, verkennt Brüns dennoch nicht, dass der Literatin die Erinnerung an ihr weibliches Ich "nie ganz verloren" ging. Bachmanns Autorposition sei also bei aller männlichen Dominanz bisexuell. In "Malina" habe sie beabsichtigt, von einer männlichen Autorposition aus eine "weibliche Zerstörungsgeschichte" zu beschreiben. Doch sei es unmöglich, deren "subjektgenetische Konflikte" von hier aus zu erfassen. Daher greife Bachmann hier und anderswo in einer "analogischen" Bezugnahme auf kapitalistische, kolonialistische und faschistische Gewaltstrukturen zurück, um die "Destruktionsgeschichten der Frauenfiguren" in ihnen zu spiegeln.

Autorschaft von Frauen, resümiert Brüns, realisiere sich über psychosexuelle Positionen, deren "produktive ästhetische Praxis" sich nicht darauf beschränke, "Ausschluß, Verstummen, Defizite und Todesarten" zu beschreiben, sondern die zudem sowohl Geschlechter- als auch Autor-Konstruktionen auflösen und ihnen "andere Bilder" entgegensetzen. Seien diese Konstruktionen möglicherweise auch "grotesk oder destruktiv", so verweise doch "gerade ihr Entstehen darauf, daß die Autorin" genau das sei, "was Kristeva nur dem schreibenden Mann" zugestehe: "Ein Subjekt-im-Prozeß". Auch wenn man es nur "ungelenk" ausdrücken könne: Die Frau sei "nicht außenstehend und von der Natur der Wörter ausgeschlossen". Welche Autorinnenposition sie auch einnehme, weder sei sie "notwendig männlich noch gleich kopfüber weiblich". Sicher sei nur eins: "La femme-écrivaine existe." Zweifellos!


Titelbild

Elke Brüns: außenstehend, ungelenk, kopfüber weiblich. Psychosexuelle Autorpositionen bei Marlen Haushofer, Marieluise Fleißer und Ingeborg Bachmann.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart/ Weimar 1998.
334 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3476015971

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