Auf Körperlichkeit reduziert

Doris Dörrie fragt: "Bin ich schön?"

Von Miriam PottRSS-Newsfeed neuer Artikel von Miriam Pott

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Sie lächelte mich an, ein warmes, weiches Lächeln, in das ich mich gern eingewickelt hätte wie in eine Decke. In letzter Zeit hatten mich nicht gerade viele Frauen so angelächelt." Wer nach diesen Zeilen nun eine Liebesgeschichte erwartet, der wird enttäuscht, denn Dories Dörrie "ist nicht freundlich. Sie ist überscharf, unerbittlich und höhnisch bis zur Gnadenlosigkeit - Männern wie Frauen gegenüber von gleichmäßig dosierter Bissigkeit" (Rose-Maria Gropp).

Doris Dörrie wurde aber nicht durch ihre Erzählungen, sondern vor allem durch ihre Filme bekannt und die Arbeit als Regisseurin beeinflußt ihre schriftstellerische Tätigkeit entscheidend, darin liegen meines Erachtens zugleich ihre Stärken als auch ihre Schwächen. Dörrie besticht durch ihren Blick für spannende Stoffe und außergewöhnliche Figurenkonstellationen, die Erzählungen wirken aber oft wie Plots für ihre Filme. Die Erotik spielt in den Texten von Doris Dörrie allenfalls eine untergeordnete Rolle; sie wird genutzt, um die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten zu verdeutlichen, nie wird erotische Stimmung um ihrer selbst willen erzeugt, immer problematisiert sie vorhandene Spannungen zwischen den Figuren oder hebt diese deutlicher hervor.

Im Mittelpunkt der Erzählung "Honig" stehen Tomas und Celia, die sich auf einem Wochenendseminar zum Thema 'Lerne dich selbst zu lieben' in der Toskana kennenlernen. Die Ereignisse werden aus Tomas Perspektive erzählt, der nach der Scheidung von seiner Frau sehr unter der Trennung von den gemeinsamen Kindern leidet und mit Einsamkeit, Alkohol- und Potenzproblemen zu kämpfen hat. Gleich zu Beginn des Seminars fällt ihm Celia auf, zu der er sich sofort hingezogen fühlt. Celia stellt sich als Tiefbauingenieurin mit zwei kleinen Kindern vor, die zu Hause festsitzt und glaubt, verrückt zu werden. Die beiden kommen sich näher und entfliehen am Abend der Klinikatmosphäre. In der seltsam traumhaften Szene am See küssen sie sich zum ersten Mal. Doch wird das romantische Moment zerstört, als Tomas bekennt, er fühle sich "in der lauwarmen Brühe wie in einer bereits empfindlich abgekühlten Badewanne." Der Text spielt mit der Erwartungshaltung des Lesers, er baut eine erotische Atmosphäre auf, um sie im nächsten Augenblick zurückzunehmen. "Ein Lichtschein fiel über ihr Gesicht. Ihre nassen dunklen Haare kringelten sich auf ihrer Stirn, ihre Augen waren groß und schwarz, ihre Lippen halb geöffnet. Sie sah jung und begehrenswert aus. Erzählen Sie mir von ihren Potenzschwierigkeiten, flüsterte sie." Immer gehen die Störungen der Harmonie von Celia aus, sie ist die Aktive, während Tomas passiv bleibt und lediglich reagiert. Celia wird als intelligente Frau dargestellt, die Tomas ganz bewußt durch ihre Lügengeschichten manipuliert. Hier scheint klar zu sein, daß ihr sehr wohl klar ist, daß sie ihn mit ihren ungeschickten und unpassenden Bemerkungen abschreckt und zurückstößt. Sie will ihn offenbar provozieren, um herauszufinden, wie weit sie bei ihm gehen kann, wie lange er ihr inszeniertes Spiel mitspielt. Als sie Tomas zum ersten Mal küßt, läßt sie nebenbei noch einfließen, daß sie ihren Mann noch liebe, Tomas reagiert entsprechend: "Sie preßte erneut ihre Lippen auf meine, aber ihr Satz klang in meinem Körper nach wie ein Gong und verdarb mir den Spaß."

Die Sprache dieser Szene unterstreicht noch die Unbeholfenheit der Küssenden, sie wirkt hölzern und klischeehaft. Vor allem die Vergleiche und Metaphern können nur als abgenutzt, platt oder einfach unpassend bezeichnet werden: "Sie schmeckte gut, frisch und süß wie ein Fruchtbonbon.", "sie hielt mich unter Wasser in den Armen wie eine Meerjungfrau", "mein Körper begann sich aufzulösen wie ein Tropfen Tinte in einem Glas Wasser". Der Satz "daß mir Tränen aus den Augen sprudelten wie aus Springbrunnen" kann einem wirklich die Tränen in die Augen treiben! Vergleiche beeinträchtigen die erotisierende Wirkung und sind unfreiwilligen komisch.

Am Ende der Erzählung schlafen die beiden Protagonisten miteinander. Doch erotische Spannung baut sich dabei nicht mehr auf. Tomas ist vom Betrug Celias enttäuscht, die ihm eine Lügengeschichte erzählt hat und in Wahrheit alleinstehend ist. Er überläßt Celia die Initiative, bleibt emotional völlig unbeteiligt: "Nur wenige Sekunden später sah ich mir zu, wie ich mit ihr auf dem beigefarbenen teuren Teppichboden lag, mein nackter Hintern sich rhythmisch hob und senkte, die Hose in den Kniekehlen, die Schuhe eilig abgestreift, die Socken verrutscht. Mitleidig betrachtete ich von oben meine Anstrengungen, die Vögel legten die Köpfe schief, die Katze blinzelte und gähnte." Obwohl die beiden intim werden, fehlt von emotionaler Nähe jede Spur, da die Liebe auf Körperlichkeit reduziert bleibt.

Titelbild

Doris Dörrie: Bin ich schön?
Diogenes Verlag, Zürich 1995.
347 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 3257228112

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