Hans Falladas Jahre in Carwitz - Ein Erklärungsversuch

Wolfgang Rödel beleuchtet den Menschen hinter dem Schriftsteller

Von Monika MünchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Münch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Rudolf Ditzen 1920 seinen ersten Roman "Der junge Goedeschal" veröffentlichte, hatte er sein Pseudonym sorgfältig gewählt: Fallada, das war bei den Gebrüdern Grimm der Schimmel, der immer die Wahrheit sprach. Den Roman ließ der Schriftsteller bald wieder einstampfen, das Pseudonym behielt er. Hehre Ziele am Beginn einer nicht unumstrittenen Laufbahn? Was aus den Vorsätzen geworden ist, beleuchtet Wolfgang Rödel in einem Feature über einen Schriftsteller, der nur allzu oft als "Speichellecker der Nazis" abgekanzelt wird.

Die elf Jahre von 1933 bis 1944, die Hans Fallada in Carwitz verbracht hat, waren ohne Zweifel die kritischsten - aber auch produktivsten - seines Lebens. Hier versuchte Fallada dem Würgegriff des nationalsozialistischen Regimes zu entkommen, schaffte aber nicht, einer Linie treu zu bleiben. Denn als Schriftsteller schwankte Fallada zwischen Widerstand, Kniefall und dem Rückzug ins Unpolitische. Damals wie heute wurde und wird ihm das vorgeworfen, ist sein Verhalten doch kaum nachvollziehbar. Rödel wagt sich an dieses Nachvollziehen, indem er den Blick weg vom literarischen Endprodukt lenkt und nach dem Menschen hinter dieser Haltung forscht.

Anfangs sah es schlecht aus für den Schriftsteller Fallada: Schon in jungen Jahren greift er zu Morphium und Alkohol, wenn die Welt ihn zu sehr belastet. Ein Leben lang wird er immer wieder diesen Ausweg suchen. Als er 1928 Anna Margarete Issel, seiner "Suse", begegnet, scheint sich das Blatt zu wenden. Sie gibt ihm Halt und wird später zur Vorlage für sein "Lämmchen": jene Frauengestalt, die im Welterfolg "Kleiner Mann, was nun?" einem unerschöpflichen Ruhepol gleichkommt. Gerade der aufmerksame Blick für die Rolle der "Suse" in Falladas Leben zeichnet die CD aus: Rödel beleuchtet die Ereignisse immer wieder auch aus ihrer Perspektive, wie sie den Dichter voller Aufopferung von der drohenden Außenwelt abschirmt. Als Fallada nach dem plötzlichen Erfolg von "Kleiner Mann, was nun?" einmal mehr dem Alkohol zu verfallen droht, ist sie es, die ihn 1933 ins mecklenburgische Carwitz bringt. Der Landsitz wird zum Fluchtpunkt, an dem für Fallada ungestörtes Arbeiten möglich ist. 18 Bücher entstehen hier, doch diese Produktivität grenzt an Schreibsucht. Denn ohne das Schreiben kann Fallada nicht leben - "besessen" nennt ihn Suse.

Aber dieses Glück ist nicht von Dauer. Zwar konnte anfangs die Politik der Nazis Falladas Erfolg nicht zuvorkommen, doch als die Stimmung kippt, zerstört die braune Propaganda die ländliche Idylle. Bald zerreißen die Kritiker sein Werk als deutschfeindlich, die öffentliche Meinung schlägt um, die Absätze sinken. Fallada sieht sich dennoch gezwungen zu publizieren, um Frau und Kinder zu ernähren. Emigrieren kann er nicht, denn er ist "so sehr ein Deutscher", dass er nur in Deutsch "schreiben und denken kann": das Drama vom Dichter, dem die Hände gebunden und das Wort verboten sind. Fallada entscheidet sich für einen sehr zweifelhaften Ausweg, beginnt sein eigenes Werk scheinbar zu verleugnen. Das Vorwort zu "Bauern, Bomben und Bonzen" ist ein Beispiel für seine Taktik: Hier gibt er sich "beglückt" über die Veränderungen, die seit 1933 in Deutschland vorgegangen sind. Wem er damit geholfen hat, bleibt unklar: "Die Welt kotzte mich an. Ich mich selbst aber noch mehr." Als auch diese Rechnung nicht aufgeht, strauchelt Fallada endgültig. In den folgenden Romanen versucht er erneut seine Linie zu finden. Doch am Ende resigniert er im Unpolitischen, sucht seinen Trost im Drogenrausch. Nach dem Krieg hätte es besser werden können, doch vielleicht war es da schon zu spät für den Dichter, der seinem eigenen Namen nicht gerecht werden konnte. Am 5. 2. 1947 stirbt Fallada mit nur 53 Jahren an Herzversagen.

Ohne belehrend zu wirken, zeichnet Rödel anhand von Briefstellen, Tagebuchzitaten, Romanauszügen und zeitgenössische Stimmen ein anschauliches Bild von Falladas Carwitzer Zeit. Nicht immer bleibt dabei die Chronologie durchsichtig, wenn sie hinter den inneren Zusammenhang zurücktritt. Hier liefert das Booklet der CD einen wertvollen Leitfaden. Rödel lenkt in seinem Feature das Augenmerk auf den Menschen Rudolf Ditzen, ohne endgültige Diagnosen zu stellen, und das ist angenehm. Er beschreibt einen zerbrechlichen Fallada - ohne ihn zu verurteilen.

Titelbild

Wolfgang Rödel: Hans Falladas Jahre in Carwitz. CD mit Booklet.
Der Audio Verlag, Potsdam 2000.
56 Minuten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3898131211

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