"Alle Idole müssen sterben" - das Projekt Werner Schwab

Dossier 16 widmet sich dem früh verstorbenen österreichischen Dramatiker

Von Peter ReichenbachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Reichenbach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich bin die umstürzlerische Liebe / der Gegensex / jeder Tag kostet mich Wunden / dabei bin ich schon jetzt zerschunden und völlig blutverschmiert/ [...] Alle Idole müssen sterben / Meine Seele brennt" singt Blixa Bargeld auf der Platte "Strategies Against Architecture" - er ist heiser, schafft das sonst gewohnte Schreien mit größter Anstrengung nur im Refrain. Konstant bleibt nur der dem Herzschlag nachempfundene Beat, dann bricht Bargelds Stimme wieder - konsequent abrupt endet das Lied "Seele Brennt", ohne jegliches Nachhallen. So pathetisch es auch sein mag, dieses Lied klingt immer nach einer Hommage an Werner Schwab, einer Hommage seiner Lieblingsband, den "Einstürzenden Neubauten". "Seele Brennt" ist auch der Titel der bereits 1995 erschienenen Monographie von Helmut Schödel, ein Jahr nach Werner Schwabs Tod in der Silvesternacht 93/94 - ein gelungener Nachhall auf das kurze Leben des Dramatikers. Dann kommt lange nichts. Erst jetzt präsentiert der Literaturverlag Droschl in seiner Dossier-Reihe ein Buch zu Leben und Werk Werner Schwabs: "Dossier 16 - Werner Schwab". In gewohntem Konzept finden sich darin ein Gespräch, umfangreiche Analysen und Kritiken zu jeder Veröffentlichung des Autors, handschriftliche Manuskripte, die Vita und eine stichhaltige Bibliographie.

"Das typisch Schwabische" war schon zu Werner Schwabs Lebzeiten eine häufig zu lesende Formulierung. Die Gegensatzpaare, die sich bei jeder Frage an seine Texte zwangsläufig ergaben, wurden auf diese Weise - eher unreflektiert - zusammengefasst. Betrachtete man beispielsweise die verwendete Sprache Schwabs, erkannte man auf den ersten Blick eine Art Dialekt, der stark an die Sprache im Volkstümlichen Theater erinnerte. Sah man genauer hin, erkannte man eine gut überlegte "Zerschneidung" der Wörter und eine neue Zusammensetzung mit ,falschen' Prä- und Suffixen - schon wirkte die Sprache künstlich, ohne die Wirkung des lebensnahen, echten Dialekts zu verlieren: "typisch Schwabisch" eben, doch über die Funktion dieses "Kunstdialekts" machten sich bisher nur wenige Gedanken.

Die Leistung dieses Buches ist es daher, es sich eben nicht so einfach zu machen: Werner Schwabs Sprache wird mit Hilfe einer linguistischen Fachterminologie definiert, die Funktion der spezifischen Sprachverwendung wird analysiert. Alle Autoren versuchen sich ganz konkret dieser Floskel des "typisch Schwabischen" weiter anzunähern. So kann man die Frage "Was ist denn jetzt genau das typisch Schwabische?" als Leitfrage dieses Buches verstehen. Die Beantwortung dieser Frage fällt von Autor zu Autor anders aus. Gemeinsam ist allen Standpunkten ein Konzentrieren auf die verwendete Sprache: "Bei Schwab liegt letztlich in der Sprache der Hund begraben", schreibt Günther A. Höfler.

Ein weiterer Schwerpunkt dieses Buches ist der Versuch einer literaturhistorischen Einordnung Werner Schwabs. Klassischerweise geschieht dies durch Nennung seiner literarischen "Vorfahren" und Einflüsse. So findet sich kaum eine Analyse in diesem Buch, die nicht eine lange Liste von Namen aus Philosophie, Literatur und Musik aufzuweisen hätte. Würde man alle genannten Referenznamen auflisten, hätte man ganz schnell eine sehr lange Liste.

Dennoch lässt sich trotz der gemeinsamen Fragestellung kein einheitlicher Tenor ausmachen. Werner Schwab wird je nach Sichtweise der Autoren mal zwischen Friedrich Nietzsche und Jacques Derrida eingeordnet, dann wieder zwischen der Wiener Gruppe und den Wiener Aktionisten oder Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek u.s.w. All diese Versuche scheinen richtig, sind immer nah dran an diesem Werner Schwab, sind im Kontext immer nachvollziehbar und entwerfen immer wieder ein neues Bild des Autors. Dies spricht für dieses Buch und es spricht auch für das Werk. Die Schwierigkeit einer vollständigen Einordnung wird jedoch deutlich; ebenso wird hervorgehoben, dass Werner Schwab kein Jünger irgendeiner Theorie war, sondern sich zwar teilweise bei verschiedenen theoretischen Ansätzen bediente, in seinem Werk jedoch lediglich seine eigene Originalität als Haupteinfluss gelten ließ.

Besonders spannend erscheint mir der Aufsatz Richard Stradners, "PUNK::SCHWAB:ARTAUD". Stradner ordnet Schwab in die Tradition des PUNK ein, indem er auf die Parallelen zwischen Schwab und Punk verweist: konstante Anti-Haltung, Selbstzerstörung ist gleich Systemzerstörung, Sex nur als Pornographie, Gewalt oder Perversion wahrzunehmen, "das alles, um dem 'System' seine demaskierende Maske entgegen zu halten". (Vgl. dazu auch Schwabs persönliche Musikvorlieben in diesem Dossier: Iggy Pop, The Ramones etc.)

Stradner fordert aus seinen Beobachtungen heraus eine neuartige Art der Inszenierung der Theaterstücke Schwabs. Anforderungen, die meines Erachtens wichtige Impulse für zukünftige Inszenierungen geben können: "Mit Blick auf die bisherigen Inszenierungen seiner Stücke könnte man sich fragen, ob nicht eine Spontaninszenierung der allabendlichen Performance im Sinne von Punk-Konzerten angebracht wäre [... ]. Die Bühnenaktion hätte dem explosiven Duktus der Sprache weitestmöglich entgegenzukommen, den Akteuren wäre ein größerer Freiraum bei der Ausführung einzuräumen, die Aufführungsdauer könnte variieren. Denn die rücksichtslose Individualität dieser Stücke entspricht voll und ganz dem Regelmissachtungs-Gestus von Punk. Sie verhalten sich zum orthodoxen Theater wie jede gute Punk-Performance zu einer durchgestylten, genau 'getimten', unpersönlichen Rock-Show."

"Dossier 16 - Werner Schwab" ist neben der Monographie Helmut Schödels ein wichtiger und nötiger Nachhall und wird, für jeden der sich mit Werner Schwabs Werk befassen und mehr als nur eine "unpersönliche Rockshow" will, eine unumgängliche Lektüre sein.

Titelbild

Werner Schwab Dossier 16.
Herausgegeben von Gerhard Fuchs und Paul Pechmann.
Literaturverlag Droschl, Graz 2000.
372 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 385420552X

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