Knochensud und Rosenkranz

Josef Winkler setzt seine Kärnten-Saga fort

Von Helge SchmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helge Schmid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach seinem letzten Roman "Domra. Am Ufer des Ganges" (1996) mochte man glauben, der österreichische Schriftsteller habe sich nun endgültig ein neues Sujet gesucht und sich von seiner Kärnten-Saga der späten siebziger und achtziger Jahre ("Das wilde Kärnten", 1979 - 1982; "Die Verschleppung", 1984; "Der Leibeigene", 1987) gelöst. Sein neuer Roman "Wenn es soweit ist" (1998) belegt jedoch, wie existentiell der biographische Herkunftsraum Kärnten und die bäuerliche, bigott-religiöse, oppressive Lebenswelt für Winkler nach wie vor sind. Die zentralen Themen seines Œuvres, Tod und Kirche und Sexualität haben nichts von ihrer Relevanz verloren, und es ist beeindruckend zu sehen, wie Winkler immer neue Bilder für seine Obsession findet.

Im Zentrum des neuen Buches steht der Knochensammler Maximilian, der die Gebeine von Selbstmördern oder sonstwie gewaltsam Verstorbenen in seiner Knochenmühle zu einem schwarzen, pechartigen Geschichtensud verarbeitet. Maximilian ist Vertreter eines alten, an sich längst ausgestorbenen Handwerks, des Knochenköhlers: Mit Knochensud strichen die Bauern die Nüstern und Augen der Kühe und Pferde ein, um sie vor den lästigen Insekten zu schützen. Indem Maximilian die Knochen der Toten verarbeitet, verarbeitet er auch deren Geschichten. Es sind ereignishafte, aber keine sensationellen Tode, die er zu dokumentieren hat: Im Krieg gefallen, im Fluß ertrunken, ein Autounfall, ein Selbstmord am Kälberstrick, ein qualvolles Ende durch Knochenschwund. Josef Winkler ist kein Sensationsschriftsteller, der es nötig hätte, eine dürre Geschichte mit perfiden Todesarten aufzubessern. Er ist im Gegenteil ein ruhiger, genauer, gewitzter, bisweilen sogar ›komischer‹ Erzähler, der durch genaues Hinschauen und minutiöses Dokumentieren eine atemlose Spannung zu erzeugen weiß.

"Wenn es soweit" ist wird durch eine komplexe Sprechsituation charakterisiert, die einige Leseerfahrung voraussetzt. Auf der anderen Seite entwickelt das Buch seinen ganz eigenen Sog und führt seinen Leser geschickt durch den Wechsel der verschiedenen Erzählerstimmen. Wichtigster Erzähler ist Maximilian, doch jede einzelne Todesart hat ihren Protagonisten und ihren eigenen Ton. Wiederholungen wirken deshalb nicht redundant, sondern performativ, fast werbend für den Tod und seine Originalität.

Titelbild

Josef Winkler: Wenn es soweit ist.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
190 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3518410113

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