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Thomas Bernhard, die europäische Literatur und die Musik

Von Ernst GrabovszkiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ernst Grabovszki

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wann wird ein Autor kanonisch?" fragt sich Hartmut Eggert im letzten Beitrag des Bandes "Thomas Bernhard. Traditionen und Trabanten" und befürchtet zum 10. Todestag des Dichters sogar dessen Heiligsprechung. Ein Heiliger war Bernhard allerdings nie, und man darf getrost annehmen, dass sich der Autor selbst im Jenseits dieser Würde entziehen würde. Dennoch scheinen sich die Rahmenbedingungen zumindest für die globale Rezeption des Autors in den letzten zehn Jahren gebessert zu haben. Zum einen erlaubt das Anwachsen der Übersetzungen auch für nicht Deutschsprachige eine Lektüre des Bernhard'schen Œuvres, zum anderen scheint sich, so Eggert, die Bedingung der produktiven Rezeption bei jüngeren Schriftstellern zu erfüllen. Zudem lassen sich Bernhards Texte aus ihrem Entstehungskontext dermaßen herauslösen, dass sie auch in andere kulturelle Kontexte einsetzbar sind und somit über das Lokale hinaus wirken können. Damit steht nun der Aufnahme Thomas Bernhards in den Kanon der Weltliteratur nichts mehr entgegen. Der von Joachim Hoell und Kai Luehrs-Kaiser herausgegebene Band mag zumindest als ein Schritt in diese Richtung aufzufassen sein.

Der Band präsentiert eine Auswahl jener Referate, die auf dem Kongress "Thomas Bernhard und die Weltliteratur. Intertextualität, internationale Rezeption und kulturelle Perspektiven" (1998) im Rahmen der Thomas-Bernhard-Tage in Berlin gehalten und in zwei Bänden publiziert wurden: Traditionen und Trabanten beschäftigt sich mit der Wechselwirkung von Bernhards Werk mit der österreichischen und europäischen Literatur, dem politischen Gehalt und der Bedeutung geschichtlicher Orte, schließlich mit den musikalischen Strukturen in Bernhards Texten.

Die Beiträge des Abschnitts "Zeit-Spuren" versuchen den "immanent politischen Gehalt" von Bernhards Texten offen zu legen. Sie gehen der Art und Weise nach, wie Vergangenes erinnert wird und erhellen die Bedeutung geschichtlicher Orte. Die Vergleiche mit Autoren wie Peter Weiss und Marcel Proust zeigen eine zwar nur implizite, gleichwohl vorhandene Bezugnahme Bernhards auf geographische Orte als historische Standpunkte, die die politische Geschichte stets mitreflektieren.

Der Abschnitt "Innen-Ansichten" bringt wenig Neues, was die Konfrontation Bernhards mit anderen österreichischen Autoren betrifft: Die Bezugnahme auf Stifter, Doderer, Bachmann und Handke ist in der Bernhard-Forschung zwar gängig, aber auch unerschöpflich. So wird an die satirische Wendung gegen Stifter in "Alte Meister" erinnert, werden Krüppelgestalten bei Bernhard und Heimito von Doderer untersucht und wird die bewundernd-distanzierte Haltung zu Ingeborg Bachmann zum Thema gemacht (dies wiederum anhand des Romans "Auslöschung"). Handkes "Die Lehre der Sainte-Victoire" und "Alte Meister" zeigen die Art und Weise der Wahrnehmung der beiden Autoren, und schließlich widmet man sich der "düsteren Weltsicht" bei Bernhard und Elfriede Jelinek.

Die "Außen-Ansichten" bieten insofern einen ergiebigen Ansatz, als sie Bernhards Werk in den Kontext der kanonisierten Weltliteratur stellen: John Donne, Pascal, Edgar Allen Poe, Henrik Ibsen, August Strindberg, Charles Péguy, Montaigne, Jean-Paul Sartre bilden die textuelle Topographie, die die Beiträge dieses Abschnitts abdecken. Zerfall, Krankheit, "Räume des Schreckens", Tod und Auslöschung werden anhand der genannten Autoren thematisiert. Nahe liegend scheint es dabei, Bernhards Werk in den Kontext der phantastischen bzw. der "Horror"-Literatur zu stellen, wie dies Clemens Ruthner in seinem Beitrag "Texträume des Schreckens. Thomas Bernhard und Edgar Allen Poe" versucht und Bernhard mit H. P. Lovecraft und den Roman "Das Kalkwerk" mit Poes "The Fall of the House of Usher" vergleicht. Die Parallelen zwischen Bernhard und Lovecraft, nämlich "das Grauen einer hinterwäldlerischen Provinz und ihrer Vergangenheit, lebensfeindliche Atmosphäre, negative Theologie, Isolation, Verfall" sind jedoch nicht nur Kennzeichen einer phantastischen Literatur, sondern lassen sich auf beinahe jedes Werk Bernhards anwenden. Das hat freilich zur Folge, dass der Vergleich mit der Horrorgeschichte nahezu beliebig anmutet.

Das Verhältnis Bernhards zur Musik ist nicht nur biographischer Natur - eine geplante Sängerkarriere wurde mangels Begabung wieder aufgegeben -, sondern ist in den Stücken und Texten des Autors durchgehend thematisiert. Die "Ton-Spuren", der vierte und letzte Abschnitt des Buches, zeigen, wie sich Bernhard in seiner Jugend am Hof des Komponisten Gerhard Lampersberg als Librettist versucht hat und beschreibt seine Rezeption von Johannes Brahms und seine Interpretationen Johann Sebastian Bachs.

Ein Verdienst dieses Bandes ist es gewiss, sowohl das Werk als auch die Person Thomas Bernhards in einen Kontext zu setzen und somit der Mythisierung eines Individualisten und "Alpen-Becketts" abzuschwören. Gerade die nach dem Tod Bernhards erschienene (biographische) Literatur, die zu einem Großteil von Freunden und "Weggefährten" verfasst worden war, bediente dieses Image des eigensinnigen und bar jeder Intertextualität agierenden Schriftstellers. Eine Kontextualisierung und Bezugnahme auf andere europäische Literatur ist jedoch notwendig, um Strukturen des Werks zu erhellen. Gerade die Parallelsichten mit anderen europäischen Autoren machen offenbar, dass die Düsternis Bernhards bei zahlreichen anderen Dichtern früherer Jahrhunderte genauso vorherrschte, wenngleich mit anderen Akzentuierungen. Ebenso hat das Bild Bernhards als Übertreibungskünstler oft jede weitere Argumentation unschädlich gemacht, weil es die aus der Normalität heraustretenden Figuren und Handlungsräume voreilig als "Übertreibungen" abstempelte und die Texte auf eine Ästhetik der Grenzüberschreitung reduzierte.

In den Analysen dieses Bandes steht das Spätwerk im Vordergrund, und auch die komparatistisch orientierten Beiträge leiden zudem darunter, dass die zum Vergleich herangezogenen Texte nicht in der Originalsprache zitiert werden. Die Differenz zwischen einem Original und einer Übersetzung ist ja hinlänglich bekannt und mag zu Fehlschlüssen führen. Trotzdem liegt hier ein wertvoller Beitrag zur Bernhard-Forschung vor.

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Joachim Hoell / Kai Luehrs-Kaiser (Hg.): Thomas Bernhard. Traditionen und Trabanten.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1999.
232 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3826016955

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