Der Traum gebiert Ungeheuer

Untersuchungen zum Traum in der Literatur

Von Irmgard Johanna SchäferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Irmgard Johanna Schäfer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Mir träumte letzte Nacht, daß ich..." und dann verlassen die Worte das Gebilde unserer Gedanken, sind nicht kompatibel mit dem, was sie ausdrücken sollen. Vielleicht träumten wir etwas wunderbar Schönes und können den bloßen Tathergang rekonstruieren, aber das eigentliche Gefühl, das Wohlige oder Erregende, das Faszinierende unseres Traumes können wir nicht im Entferntesten wiedergeben. Sobald es ausgesprochen wird, wirkt es jämmerlich und klein. Trotzdem ist der Traum fester Bestandteil literarischen Schaffens, vielleicht liegt in ihm auch die Herausforderung so gut und intensiv zu erzählen, den Leser in eine Traumwelt zu entrücken?

Der Traum stellt sich als lebensnotwendig dar. Kein Volk, das nicht der nächtlichen Heimsuchung seine Position im politischen und persönlichen Leben eingeräumt hätte. Die alten Griechen sahen den Traum als verschlüsselten Wegweiser der Gottheiten, die auch fähig waren durch Träume Gutes und Schlechtes zu schaffen, zu helfen oder zu irritieren. Träumte ein antiker Held, so wurde die Traumaussage nicht in Frage gestellt. Träume waren Wirklichkeit. Heute sind sie mehr und mehr erforscht, haben aber in unserem täglichen Leben kaum noch Einfluss, so scheint es bei oberflächlicher Betrachtung. Negiert wird dies aber schon durch die Erkenntnis, dass Traumentzug die diffizilste Folter ist. Wird der Mensch durch ständige Unterbrechung seiner Traumphasen am Träumen gehindert, stirbt er. Der Inhalt dieser Traumphasen, die der Mensch während jeder Schlafperiode durchläuft, ist von Interesse. Die Auslegungen gehen über die Verarbeitung von Tagesresten, über angestaute Sehnsüchte, die sich aus dem Unterbewusstsein vor unser schlafendes Auge drängen, bis hin zu C. G. Jungs Archetypentheorie. Das Wissen und Erleben aller, die vor uns gelebt haben, ist in uns gespeichert, und im Traum wird an diesem unglaublichen Fundus an Menschheit gerührt, so dass wir oft träumen ohne eine Zuordnung zu unserem direkten Leben herstellen zu können. In "Der träumende Held" wird, abgesehen von den bisher dargestellten historischen psychologischen Aspekten an acht Beispielen der Traum in der neueren Literatur betrachtet. Der Autor unterscheidet hierbei zwischen künstlichen und realistisch vorgetragenen Träumen. Dabei verliert er jedoch mitunter aus den Augen, dass nicht jeder Schriftsteller einen realistischen Traum in sein Werk einordnen will, sondern die Traumerzählung wirklich nur als Treiber einer Geschichte dient. Die Auswahl der Traumsequenzen orientiert sich an den kanonischen Texten der deutschen Literatur (zum Beispiel "Flegeljahre", "Siebenkäs", "Der Magnetiseur", "Heinrich von Ofterdingen", "Der grüne Heinrich" und "Der Zauberberg"), diese scheinen sich besonders gut exemplarisch verwenden zu lassen und bereichern die schon üppig vorhandene Forschungsliteratur um eine weitere Facette.

Titelbild

Wilhelm Richard Berger: Der träumende Held.
Herausgegeben von Norbert Lennartz.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000.
200 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 352520809X

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