Ich bin alles Mögliche

Maxim Billers Selbstportrait in Kolumnen

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kann das gut gehen? All die Kolumnen von Maxim Biller noch einmal auf einen Sitz zu lesen, die Feuilletons und Reportagen der Nach-"Tempo"-Jahre noch einmal zu scannen und jaja zu nicken oder neinnein zu winken bei den beiden Themen, die er hat, Juden und Deutsche?

Kurz gesagt: ja. Überraschend gut sogar. Nicht wenige seiner Texte lesen sich heute nicht nur so frisch und unverbraucht wie am ersten Tag, sondern gereift wie Wein in guten Schläuchen. Erstens macht man Entdeckungen - man hat sie doch nicht alle gelesen. Zweitens hat Biller, bei aller thematischen Redundanz, ein breites Repertoire sprachlicher Mittel, mit denen er seinen Gegenständen Farbe und Relief zu geben versteht. Und viertens steht er immer neben sich, als Beobachter seiner selbst, als ,Lenor-Gewissen' quasi, das Einspruch erhebt, so dass trotz aller Bestimmtheit seiner politischen Überzeugungen immer viel Differenziertheit und originelle Perspektive mitspricht.

Und wo bleibt drittens? Und drittens ist er immer ernst, ernsthaft, entschieden, immer - ja - streng, konzessionslos, distanziert, dass es auf Dauer Spuren hinterlässt. Dem entspricht auf der anderen Seite eine große Behendigkeit des Denkens und Argumentierens, der man sich kaum entziehen kann. "Sind Sie ein zionistischer Patriot?", fragt ihn Henryk M. Broder. "Ich bin alles mögliche", antwortet Biller, "was gerade so ansteht." Er kann es sagen, weil seine Positionen alles andere als beliebig sind.

Zu den 'gereiften' Kolumnen zählt Billers Kanzlerportrait: Zu Beginn von Gerhard Schröders Amtszeit gelesen würde man es wohl anders verstehen (müssen) als jetzt, nach dem Entschädigungspakt für ehemalige Zwangsarbeiter, nach dem Ausscheiden Oskar Lafontaines aus der Regierung, nach der Steuerreform, der Leitkultur-Debatte, der Fahndungsfoto-Affaire. Biller nämlich charakterisiert Schröder als "Synonym für Würde und Selbstsicherheit und Weltoffenheit", und zugleich unterstellt er ihm den Wunsch, Deutschland "retten" zu wollen. Wie das? War das nicht das erklärte Ziel der Union? Mag sein. Aber deren Populismus, die Formelhaftigkeit ihres Bekenntnisses ("Kanzler der Einheit"), ihr fortwährender Gesichtsverlust in der politischen Auseinandersetzung hat sie geschwächt. Schröder hingegen hat es genutzt, dass er - bei aller Entschlossenheit - gelassen blieb, gewandt, selbstironisch und vor allem handlungsfähig. Biller beschreibt Schröder als jemanden, der auch mit historischen Erblasten verantwortlich umzugehen weiß, ohne sogleich das "Ich-leide-für-mein-Land-Gesicht" aufsetzen zu müssen. Es sei Schröders "Vision", sagt Biller präziser, Deutschland vor Deutschland bewahren zu wollen, und wahrscheinlich wird er Recht behalten mit seiner Überzeugung, dass es, wenn überhaupt, nur einem wie Schröder gelingen kann, sich ohne jegliche Spur von Chauvinismus zu bekennen. Denn bisher ist es weder neo-konservativen Liberalen noch alt-linken Proselyten geglückt, "hier endlich zu Hause zu sein". Biller schildert die "Lebenstragödie" Willy Brandts, der nach der Wiedervereinigung schlicht daran scheiterte, die Früchte seiner pragmatischen Politik ("Wandel durch Annäherung") würdig-gelassen aufzulesen, ohne sich in den Vereinigungswirren peinlich anzubiedern.

Mit Begriffen wie Kälte, Distanz, Unnahbarkeit müsste man wohl das Bild charakterisieren, das Maxim Biller von sich selber entwirft. Deutlich wird dies etwa in seinem fulminanten Ernst-Jünger-Portrait "Ein Meister aus Deutschland". Einer der Kunstgriffe dieses Portraits besteht darin, weitgehend ohne Jünger auszukommen: Der "Hundertjährige" wird indirekt und aus großer Distanz dargestellt, gebrochen durch die Perspektiven des ehemaligen Dorfbürgermeisters von Wilflingen, eines Jünger-Enthusiasten aus dem benachbarten Sigmaringendorf und Jüngers unmittelbarem Nachbarn, dem Baron Friedrich Schenk von Stauffenberg. Biller präsentiert sich hier als jemand, dem die Gabe zu freundlich-höflicher Verbindlichkeit völlig abgeht, der sich mit seinen Gastgebern sofort in die Haare kriegt und sie dann kalten Herzens vorführt. Als Kaltnadeltechniker ist er Jünger absolut ebenbürtig, und sein Portrait (zugleich ein Genrebild der Gemeinde Wilflingen, einem der "schwärzesten Epizentren unserer Provinz") kommt dadurch ohne jene verlogene Beschwörung des Gemeinschafts- und Wir-Gefühls aus, in dem sich Zeitzeugen sonst so gefallen. "Herr Jünger ist ein unnahbarer Mensch", sagt der Baron, und "mit mir hat er, obwohl er mich von Kind an kannte, zum ersten Mal einen Satz gesprochen, als ich 1960 zur Bundeswehr kam. Da wollte er wissen, ob der Geist in unserer Armee stimmt."

Manchmal denke ich, Herr Biller muss auch so ein unangenehmer Zeitgenosse sein, spröde und kalt, aber diese Distanz, die er hat, ist seine Stärke - und sie macht seine Kolumnen fast zeitlos klar und konsumierbar. Dann wieder, der Nachruf auf Gabriel Laub (†1998) mag als Beleg dienen, zeigt er Herzlichkeit, Nähe, Vertrautheit mit einer Person und einem Werk, die nur von Passion getragen sein kann, und so bleibt er mir letztlich rätselhaft, sphinxhaft, geheimnisvoll. Kein schlechtes Omen - siehe Jünger - für ein Werk von Dauer.

Titelbild

Maxim Biller: Deutschbuch.
dtv Verlag, München 2001.
336 Seiten, 12,50 EUR.
ISBN-10: 3423128860

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch