Gesprochene Schrift, gespielte Sprache

Die heilige Schrift im Zeitalter der Multimedialität

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Bibel ist "in". Zumindest erwecken zwei neuere Publikationen diesen Eindruck. Zum einen handelt es sich um die 12-bändige Taschenbuchausgabe des S. Fischer Verlages. Das "Bibel-Projekt" entstand auf Initiative von Canongate/Edinburgh und wird in Deutschland, Australien, Griechenland, Spanien und den USA publiziert. Der schottische Verlag, bekannt geworden durch Irvine Welsh und seinen Roman "Trainspotting" möchte die Bibel auch jenen Menschen vertraut machen, die der Heiligen Schrift bisher kritisch gegenüberstehen. Zusätzliche Kaufanreize bieten der niedrige Ladenpreis und die recht unterschiedlichen Vorworte bekannter Autoren aus dem Musik- und Literaturbusiness. So rekapituliert Nick Cave die besondere Bedeutung, die das Markus-Evangelium für ihn hat, wohingegen Will Self sehr persönlich seine Erfahrungen mit einem Freund schildert, der den Offenbarungen verfallen war. Die übrigen Autoren haben nichts Wesentliches mitzuteilen. Bestenfalls als unpersönlich, oft aber auch als schlicht banal lesen sich die Deutungen Doris Lessings oder die Einlassungen von Marlene Streeruwitz. Sie beharren bei einer restauratorischen Forderung, die Bibel vermehrt in den Mittelpunkt des literarischen Leseinteresses zu rücken. Zoë Jenny mimt die Revolutionärin, die aus den Büchern Esther und Ruth einen Vorgriff auf den Feminismus herauslesen möchte. Und auch Joseph von Westphalen hat anscheinend ohne persönliche Bindung an das Projekt geschrieben. Er weist auf die Bedeutung der Luther-Übersetzung hin, spricht von "krassen" Inhalten, die auch heute noch die "Freaks" ansprächen. Seine Textbelege trägt er aus der ganzen Bibel zusammen, er zappt sich gleichsam durch die heiligen Schriften.

Zu diesem popkonformen Konzept passt auch die optische Aufmachung der handlichen Broschüren, die eher an eine - wenn auch geschmackvolle - Lifestylekampagne erinnert denn an einen ernst zu nehmenden Versuch, das Buch der Bücher zu re-literarisieren. Keine überraschende Wende angesichts allgegenwärtiger Popliteratur.

Vor allem aber betont das Projekt die Zweischneidigkeit im Umgang mit der Bibel: Die Heilige Schrift ist nicht nur Grundlage zum Verständnis dreier Schrift- und Weltreligionen - Imperialismus und Missionierung haben dazu geführt, dass sich die auch kulturelle Vormachtstellung der monotheistischen Religionen weiter ausgedehnt hat -, die Heilige Schrift hat sich auch in hohem Maße von ihren sakralen Ursprüngen gelöst. Dieser Tendenz trägt auch das "Bibel-Projekt" Rechnung, wenn es einzelne Teile der Bibel auswählt und als literarisch besonders wertvoll verkauft: "Best of God" eben. Daneben wird allzu leicht übersehen, dass die einzelnen Bücher in den seltensten Fällen in sich geschlossene Konzepte darstellen.

Dass es erst jetzt Spaß mache, die Bibel zu lesen, kann nicht behauptet werden. Um den Streit um gelungene und weniger gelungene Übersetzungen der jüngeren Zeit zu übergehen, griff der S. Fischer Verlag zur klassischen (neu verdeutschten) Lutherübersetzung. Dass diese Übertragung eine literarische Leistung außerordentlichen Ranges darstellt, ist unbestritten. Philologisch unhaltbar ist sie dennoch. So bleibt ein schaler Nachgeschmack, denn diese Edition hat nichts Neues zu bieten und lässt zu viel aus. Vor allem aber führt sie die Bibel nicht aus der Bleiwüste heraus, in der sie gemeinhin festgesetzt wird.

Vielleicht haben sich aus diesem Grund Claudia Baumhöver und ihr erfolgreicher HörVerlag für die Verdeutschung Bubers und Rosenzweigs entschieden. Was bei Luther implizit zu bemerken ist - ein Weltsystem, dem auch der Antisemitismus nicht fremd war -, bildet bei der Verdeutschung aus dem Hebräischen die geistige Grundlage: die Philosophie des Dialogs auf Seiten Martin Bubers und der jüdische Existentialismus Rosenzweigs prägen auch die Übersetzung. Beide waren bestrebt, in ihrem Lebenswerk das zu bewahren, was sie als konkreten existentiellen Stil des Originals verstanden. Rosenzweig, der beinahe konvertiert wäre, versuchte, ausgehend von seinem "Stern der Erlösung" Glaube und Praxis des Judentums durch die Bibel neu zurückzugewinnen. Dabei nimmt der Begriff des Sprechens, der Anrufung Gottes, eine zentrale Stellung ein; die Schrift müsse aus ihrer Wortverwehrung erlöst und in ein lebendiges Wort an den Menschen zurückverwandelt werden (Rosenzweig). Die Verdeutschung beansprucht, mehr zu sein als eine bloße Übertragung; vielmehr weisen Buber und Rosenzweig dem "Lautende" der ursprünglich mündlich tradierten Schrift eine zentrale Position zu. Der Leser wird zum Hörer.

So muss sich der Zuhörer einlassen auf die israelitische Welt. Moses wird zu Mosche und Jirmjahu ist der eigentliche Name Jeremias'. Die Verdeutschung geht aber noch weiter und dringt tief in die Sprachphilosophie Rosenzweigs ein. Die leichte Lesbarkeit des freilich entrückten Luther-Deutschs ist der Übersetzer Sache nicht, dafür tauchen die sprachmächtigen Philosophen in die frühisraelitische Gedankenwelt ein. Nicht nur, dass sie versuchen, die rhythmischen und lautpoetischen Eigenheiten des Hebräischen in die deutsche Sprache hinüberzuretten, Buber und Rosenzweig spielen auch mit Reimschemata, Wortwiederholungen und sprachlichen Bildern. Dass die alte Schrift als "Stimme" wahrgenommen werden soll (Rosenzweig) und sprachliche Gliederungen den Charakter des gesprochenen Wortes bewahren sollen, lässt eine Hörbuchproduktion als zwangsläufig folgerichtig erscheinen. Zumal damit das eigentliche Medium des Alten Testaments wieder aufgegriffen wird: die Sprache. Die schriftliche Fixierung tritt erst spät in der noch stammesreligiös geprägten alten Schrift auf; lange Zeit dominiert die verbale Tradierung.

Freilich: es ist keine Feierabend-Entspannung entstanden. So wie Buber und Rosenzweig den Leser mit ihrer sperrigen, weil befremdlichen Lektüre provozieren, so fordert die Hörversion ihren Zuhörer heraus. Mit etwa 16 Stunden Spielzeit eignet sich diese Hör-Bibel nicht zum Über-Hören, zum Nebenher-Hören. Zu eindringlich formuliert die hervorragende Riege von Schauspielern, allen voran Rolf Boysen und Rufus Beck. Die 13 Sprecherinnen und Sprecher, großenteils Schauspieler der Münchner Kammerspiele, gehen dabei durchaus mit unterschiedlichem Temperament an die Texte. Staunende Ehrfurcht (Thomas Holtzmann), archaische Sprachfaszination (Rolf Boysen) und hinwirkendes Engagement (Sophie von Kessel) finden sich; zum bloßen Lippengebet verkommt hier nichts. Rudolf Wessely gerät zum Erzähler, der die Märchenhaftigkeit vergegenwärtigt, wohingegen Rufus Beck eine ruhige Präsenz an den Tag legt. Das dialogische Prinzip kommt im Buch Ijob und in den "Fünf Rollen" zum Tragen, in denen die Sprechrollen aufgeteilt sind und die Sprecher sich den Stab in die Hand geben.

Der individuelle Sprachfluss und die Atempausen der Sprecher bestimmen die Sinneinheiten der Erzählungen. Jede Stimme verleiht ihren Episoden einen anderen Charakter, fern jeder Beiläufigkeit. Die ästhetisch ansprechende Pappverpackung und die Booklet-Texte eines ausgewiesenen Bibel-Kenners sprechen von einer hohen Produktionsqualität. Die sorgfältige Edition wird einen Meilenstein in der Lesungsgeschichte setzen.

So gelingt der Hörbuchproduktion nicht nur die Wiederentdeckung der gesprochenen Sprache: die Sprecher lassen sich von der Poetik der Übersetzung tragen und gehen auf deren spielerisches Element ein. In diesem Sinne steigern sie das gesprochene Wort und verwandeln es in ein gespieltes. Damit machen sie es aktueller, als dies eine poppige Taschenbuchedition vermöchte.

Titelbild

Das Bibel Projekt. Die Worte der Weisen. 12 Bände.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
950 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3596149908

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Die Bibel. Das Buch Daniel.
Der Hörverlag, München 2000.
2 CDs, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3895843962

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Die Bibel. Das Buch der Preisungen.
Der Hörverlag, München 2000.
2 CDs, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3895846171

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Die Bibel. Das Buch Ijob.
Der Hörverlag, München 2000.
2 CDs, 23,00 EUR.
ISBN-10: 389584618X

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Martin Hann: Die Bibel. Das Buch im Anfang - Genesis.
Der Hörverlag, München 2000.
5 CDs, 66,00 EUR.
ISBN-10: 3895848212

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Die Bibel. Das Buch Namen - Exodus.
Der Hörverlag, München 2000.
4 CDs, 47,00 EUR.
ISBN-10: 3895848220

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Die Bibel. Die fünf Rollen.
Der Hörverlag, München 2000.
3 CDs, 31,70 EUR.
ISBN-10: 3895843954

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